
Geschafft! Unter dem Titel »Transformationsbezogene Open-Access-Ansätze«, kurz »TOAA«, hat der transcript Verlag von Februar 2021 bis März 2023 ein dreigliedriges Projekt zur Beschleunigung der Open-Access-Transformation in den Wissenschaften realisiert. Es wurde im Rahmen der Digitalstrategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert (Fördervorhaben 16TOA002) und umfasste drei komplementäre Module: I. Die Gründung der »Open Library Medienwissenschaft«, II. »Best Performer« im Open Access sowie III. ein Pilotprojekt zu Lehrbüchern im Open Access.
Das facettenreiche Projekt hat den Verlag über zwei Jahre lang auf Trab gehalten und war ein großer Erfolg. In einer vierteiligen Serie geben wir Einblick in die Erfahrungen und Ergebnisse aus TOAA. Dieser Beitrag widmet sich dem zweiten Projektmodul »Best Performer: Evidenzbasierte Open-Access-Veröffentlichungen«.
1. Ausgangsüberlegungen
Das zweite Modul des TOAA-Projekts verfolgte das Ziel, dem Image von Open Access als »Publikationsform zweiter Klasse« entschieden entgegenzutreten und die Attraktivität des Modells zu steigern – auch als Mittel der Wahl für diskursbestimmende Bücher mit breiterem Publikum, bei welchen Verlage und Autor*innen noch häufig auf traditionelle Publikationsmodelle und den Handel setzen.
Die Open-Access-Kollektion des Moduls umfasste sechs Publikationen, deren inhaltlicher Zuschnitt hohe Rezeptionschancen und damit hohe Reichweiten erwarten ließ. Die Ausgangshypothese war, dass sich deren Potenzial in Verbindung mit Open Access und einer solchen Publikationen zuteil werdenden Premiumbetreuung in PR und Marketing noch deutlich würde verstärken lassen. Die infolge dieses Engagements erzielte hohe Sichtbarkeit und die zu erwartenden hervorragenden Nutzungszahlen würden, so die Annahme, das volle Potenzial von Open Access belegen und einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, das bis dato verbreitete Image von Open-Access-Inhalten als minderwertig oder »zweitklassig« zu verändern. Die »Best Performer« können damit künftig als »Aushängeschild« für das Publikationsmodell genutzt werden.
2. Umsetzung

2.1 Bisherige Best Performer im Open Access
Der Entscheidung, welche sechs im Projektzeitraum geplanten Publikationen des Verlags in die »Best Performer«-Kollektion aufgenommen und somit im Open Access realisiert werden sollten, ging im Frühjahr 2021 eine Analyse der 100 meistgenutzten Open-Access-Titel des Programms voraus. Auf den ersten Blick streuten die Disziplinen, Themen, Formate und Autor*innenschaften der besten Performer im Open Access erheblich (primär gemessen an den Download-Zahlen, Stand 2.2.2021). Jedoch ließen sich Häufungen erkennen und auf dieser Basis Hypothesen über die Voraussetzungen von hoher Performance im Open Access bilden: Bei den 100 am meisten genutzten Open-Access-Titeln des Verlags waren zwei Cluster erkennbar. Erstens waren Publikationen aus dem Themenbereich der digitalen Medien bzw. aus der Medienwissenschaft mit 17 % deutlich vertreten. Zweitens ragten Open-Access-Publikationen mit deutlicher Anbindung an zivilgesellschaftliche Communities heraus. In der Summe betraf dies 15 %, darunter 9 % aus dem Spektrum Commons/DYI/Fundraising, 4 % aus den Publikationen der Hans-Böckler-Stiftung und 2 % aus dem Bereich Flüchtlingshilfe. Insgesamt ließen sich somit ca. 32 % der ausgewerteten Titel dem Thema Digitalität oder Diskursen zurechnen, die an zivilgesellschaftliche Communities angebundenen bzw. anbindbar waren.
Der Eindruck, dass bestimmte Communities besonders affin für Open Access sind, verstärkte sich mit der Untersuchung der Nutzungsdaten nach weiteren Gesichtspunkten. Demnach zeichnen sich Open-Access-affine Communities oft durch einen progressiven Charakter sowie durch eine Verschränkung von Wissenschaft und zivilgesellschaftlicher Praxis aus. Neben den Genannten fielen folgende weitere »Community-bezogene« Themen durch starke Nutzungsdaten jenseits reiner Downloads auf: Publikationen aus den Bereichen Kritische Kartographie mit Anbindung an eine politische Stiftung, Publikationen zu Rechtspopulismus bzw. Rechtsextremismus-Kritik, zur Queer-Bewegung, sowie zu Public Interest Design.
Insgesamt schien der Erfolg von Open Access hochgradig von der jeweiligen Zielgruppen abhängig. Letztlich handelte es sich dabei stets um Communities, deren Kommunikationsverhalten digital affin ist oder die eine Affinität zu Fragen von Creative Commons hat, ob diese nun stärker wissenschaftlich (v.a. Medienwissenschaft) oder zivilgesellschaftlich charakterisiert sind. Auf Basis der identifizierten Muster hat das Verlagslektorat schließlich die folgenden sechs neuen Publikationsprojekte mit vergleichbarem Potenzial ausgewählt und in der »Best Performer«-Kollektion im Open Access veröffentlicht:
Reihe | Aut/Hg | Titel | Erschienen |
---|---|---|---|
Sozialtheorie | Nils Zurawski | Überwachen und Konsumieren | 04/2021 |
Gender Studies | bff/Nivedita Prasad (Hg.) | Geschlechtsspezifische Gewalt in Zeiten der Digitalisierung | 06/2021 |
X-Texte | Onur Suzan Nobrega et al. (Hg.) | Rassismus. Macht. Vergessen. | 10/2021 |
X-Texte | Frank Adloff et al. (eds.) | Convivial Futures | 04/2022 |
X-Texte | Uwe Becker | Deutschland und seine Flüchtlinge | 6/2022 |
X-Texte | Knut Bergmann (Hg.) | »Mehr Fortschritt wagen?« | 6/2022 |
2.2 Ein Premium-Publishingmodell für Best Performer
transcript hat für sein gesamtes Programm hohe Standards in PR, Marketing und Vertrieb etabliert. Darüber hinaus wurde für die »Best Performer« entsprechend der erwarteten breiten Resonanz- und Anschlussfähigkeit ein »Premium-Workflow« mit weiteren Maßnahmen entwickelt und umgesetzt, um ihr volles Potenzial zu heben. Dies erfolgte über alle Verlagsmedien und Kanäle und wurden titelspezifisch in abteilungsübegreifenden PR- und Marketingmeetings abgestimmt und koordiniert: Ausgehend von optimierten Metadaten sowie anschlussfähigen Covern, Klappen- und Werbetexten wurden die Titel in den Highlight-Bereich der gedruckten und digitalen Verlagsvorschau sowie des monatlichen Newsletters aufgenommen. Hinzu kamen spezifische Postings auf Social Media, Anzeigen beim Online-Buchhandel sowie eine hervorgehobene Präsenz in der Verlagskommunikation rund um passende Events (Kongresse, Messen) u.a. Anlässlich erster, sehr positiv stimmender Auswertungen und Reflexionen der Kollektion konzipierte der Verlag im Herbst 2021 zudem eine Kampagne unter dem Motto »Open-Access-Titel des Jahres«, die in beiden Projektjahren durchgeführt wurde. Dazu wurden die je drei Titel der Kollektion mit weiteren Open-Access-Titeln des Programms gruppiert, welche sich im Laufe des Jahres als ebenfalls sehr erfolgreich erwiesen hatten. Gemeinsam vermochten diese Titelgruppen die virulenten Themen des Jahres breit abzubilden. In einer konzertierten Aktion bewarb die transcript-Webredaktion sie Ende 2021 und 2022 jeweils mit Social-Media-Anzeigen, in einem Sonder-Newsletter und zeitgleich in einem Beitrag auf dem Verlags-Blog (2021: https://blog.transcript-verlag.de/wissenschaft-mit-reichweite; 2022: https://blog.transcript-verlag.de/open-access-2022, beide zuletzt aufgerufen am 27.2.22) sowie unter www.transcript-verlag.de in einem Slider auf der Startseite.
Das Best-Performer-Modul im Rahmen von TOAA bot somit Anlass, eine neue Reflexionsebene für die Publishing-Aktivitäten des Verlags einzuführen: herausragende, d.h. publikumswirksame Open-Access-Titel auch über die TOAA-Selektion hinaus in den Blick zu nehmen und deren Wahrnehmbarkeit mit kommunikativen Maßnahmen über die hohen Verlagsstandards hinaus gezielt zu fördern. Durch den neuen Premium-Workflow, der für die Best-Performer-Gruppe entwickelt und auf diese und weitere Open-Access-Inhalte des Verlagsprogramms appliziert wurde, erhielten sie sowohl einzeln als auch als Gruppe exzellente Sichtbarkeit.
3. Auswertung der Nutzungen
Auf Basis der empirisch fundierten, erfahrungsgesättigten Titelauswahl (vgl. 2.1) und des Engagements in PR und Marketing war zu erwarten, dass die Best Performer eine exzellente Reichweite erzielen würden. Erste Zwischenauswertungen der kumulierten Download- und Nutzungszahlen im November 2021 bestätigten dies für zwei der ersten drei erschienenen Publikationen. Ein dritter Titel bewegte sich auf einem sehr guten Standard, blieb insgesamt jedoch etwas hinter den Erwartungen zurück. Die drei Nova aus 2022 legten Ende dieses Jahres allesamt hervorragende Nutzungen an den Tag.
Die abschließende Auswertung der Kollektion Anfang 2023 ergab dann ein klares Bild. Betrachtet wurden die Nutzungen der einzelnen Publikationen, differenziert nach Views und Downloads (die Zahlen der verlagseigenen und der Partner-Plattformen wurden jeweils kumuliert) sowie nach Kalenderjahren (je länger die Laufzeit, umso höher die erwarteten Gesamtnutzungen), sowie die gesamte Kollektion, mit deutlichem Ergebnis: Die sechs Best Performer erzielten in den Jahren 2021 und 2022 insgesamt 23.387 Downloads (durchschnittlich 3.898 pro Titel) sowie 56.226 Views (durchschnittlich 9.371 pro Titel); in der Summe wurden also 79.613 Nutzungen für die Kollektion dokumentiert, was bei sechs Titeln im Durchschnitt 13.269 Nutzungen pro Titel entspricht – ein hervorragendes Ergebnis, wie im Vergleich mit den Zahlen der OL MeWi deutlich wird: Die 26 Titel der OL MeWi aus den Jahren 2021 und 2022 erzielten zusammen 31.863 Downloads (durchschnittlich 1.226 pro Titel) sowie 69.325 Views (durchschnittlich 2.666 pro Titel), und somit insgesamt 101.188 dokumentierte Nutzungen bzw. bei 26 Titeln im Durchschnitt 3.892 dokumentierte Nutzungen pro Titel. Somit übertrafen die Publikationen der Best-Performer-Kollektionen die der per se ja recht Open-Access-affinen medienwissenschaftlichen Kollektion – die jedoch »nur« einen zufälligen Querschnitt der innerhalb des Programmbereichs publizierten Fachbücher abbildet – durchschnittlich um gut 240 %. Verglichen mit den Publikationen aus weniger digital- bzw. Open-Access-affinen Feldern wäre sogar ein noch größerer Unterschied zu erwarten.
4. Nachnutzbarkeit
Die sechs Publikationen der Best-Performer-Kollektion haben das Potenzial, die Open-Access-Transformation im transcript-Programm auch perspektivisch positiv zu befördern: Der Verlag hat gezielt und strategisch eine Kollektion von Titeln mit hohem Reichweitenpotenzial im Open Access realisiert, die von renommierten Wissenschaftler*innen zu relevanten Themen verfasst und so sorgfältig wie wirksam kuratiert und präsentiert wurden. Der Erfolg der Kollektion setzt neue Maßstäbe und eröffnet Perspektiven auch für Autor*innen, die bisher an traditionellen Publikationsmodellen als vermeintlich höherwertig festhalten.
Die hohen Nutzungszahlen spielen hier ebenfalls eine Rolle: Die Zugriffs- und Downloadzahlen sowohl der verlagseigenen Plattformen als auch von digitalen Vertriebspartnern werden kumuliert und im hauseigenen Repositorium unter transcript-open.de publiziert. Sie sind somit transparent und dauerhaft einsehbar. Insbesondere die Best Performer demonstrieren hier wie erwartet die exzellente Reichweite, die Open Access im optimalen Falle erzielen kann. Der Verlag wird sie nach Projektende im Zuge der Autor*innen-Akquise heranziehen, um das Potenzial von Open Access gerade auch für breitenwirksamere, zivilgesellschaftlich relevante Diskurse zu belegen. Obwohl Autor*innen in einer Befragung die Nutzungszahlen als nur bedingt relevant bewertet hatten (die Ergebnisse der TOAA-Autor*innenbefragung werden in einem eigenen Blog-Beitrag präsentiert), weisen die täglichen Erfahrungen im Verlag in eine andere Richtung: Sie goutieren hohe Nutzungen sehr wohl und begreifen sie als Wertschätzung für die investierte Arbeit – bildet die Rezeption und Reichweite ihrer Arbeit doch eine wichtige Säule beim Aufbau und der Verbesserung ihrer Reputation.
Auf allen geschilderten Ebenen kann das zweite Modul des TOAA-Projekts also zur Aufwertung und Attraktivitätssteigerung von Open Access und somit zur breiten Etablierung des Publiktionsmodells im gesamten Verlagsprogramm – und darüber hinaus – beitragen.
5. Reflexion: Best Performer und Open-Access-Geschäftsmodelle
Nachdem Open Access sich zunehmend als Publikationsform etabliert, ist es insbesondere mit Blick auf die Best Performer sinnvoll, vorhandene Geschäftsmodelle zu überdenken. Für transcript ist es auch nach weit über 1000 Open-Access-Buchpublikationen nicht eindeutig bewertbar, in welchem Zusammenhang der Absatz von Print-Exemplaren und die Nutzung von Open-Access-Ausgaben stehen. Klar ist, dass die Print-Verkäufe bei einer konsequent umgesetzten Open-Access-Strategie deutlich abnehmen. Premiumaufwände für Open Access lassen sich also nicht durch die Verkäufe einer parallelen Print-Ausgabe gegenfinanzieren. Zugleich kann sich das Open-Access-Publishing bei Inhalten von breiterem, auch öffentlichem Interesse aber bei Weitem nicht in der bloßen Aufbereitung und Online-Stellung einer PDF-Datei erschöpfen.
Stehen dem hohen Engagement der Verlage für die Präsentation und Verbreitung solcher Inhalte keine entsprechenden Verkaufserlöse gegenüber, so wird eine andere Form der Einpreisung bzw. Entgeltung nötig. In entsprechenden Publikations- und Geschäftsmodellen, insbesondere angesichts der Spezifika in den Sozial- und Geisteswissenschaften, ist Folgendes zu beachten:
- Auch bei Open-Access-Inhalten will das gesamte Spektrum an klassischen UND neuen Verlags- bzw. Publikationsdienstleistungen angewendet werden.
- Die Printausgabe scheint nach wie vor unverzichtbar und nicht verhandelbar.
- Alle Ausgaben einer Publikation sollten professionell kuratiert werden.
- Auch bei Open-Access-Inhalten will das gesamte Spektrum an klassischen UND neuen Verlags- bzw. Publikationsdienstleistungen angewendet werden.
- Die Printausgabe scheint nach wie vor unverzichtbar und nicht verhandelbar.
- Alle Ausgaben einer Publikation sollten professionell kuratiert werden.
- Die bewährten PR-Maßnahmen und eine Überlassung (i.d.R.) von Print-Exemplaren an ausgewählte Medien und Rezensent*innen sind wichtig, wenn nicht unverzichtbar für debattenprägende Inhalte, welche Teil von soziokulturellen Diskursen und Identitäten werden. Auch diesbezüglich bleibt das Medium Buch unvermindert von allerhöchstem Wert.
- Zusätzlich und ebenso wichtig ist es, ihre Inhalte professionell über möglichst viele digitale Plattformen und Medienkanäle zu publizieren und zu kommunizieren. Dabei bilden sich neue Kollaborationen von Verlag und Autor*-, Herausgeber*- und Beiträger*innen heraus.
Für Verlage bedeutet dies, dass sie, analog zu den gepaywallten »Produkten« aufwandsspezifische modulare Geschäftsmodelle für verschiedene Arten von Open-Access-Publikation entwickeln müssen, um ihr Engagement wirtschaftlich abbilden zu können:
- Es könnte einen Mindeststandard z.B. für Dissertationen geben, der solide ist und sicherstellt, dass die Publikationen alle Leser*innen erreichen.
- Es könnte einen mittleren Standard für breiter anschlussfähige Inhalte geben, der in der Kuratierung und Kommunikation höhere Aufwände vertretbar und sinnvoll erscheinen lässt.
- Es könnte den Best-Performer-Standard geben, der das Maximum an Kuratierung und Kommunikation auf sich vereint. Dieser wäre für besonders relevante und anschlussfähige Inhalte gerechtfertigt und würde diesen eine entsprechend hohe Reichweite eröffnen.
Ein wichtiges Ergebnis aus Modul II ist somit, dass Verlage mit den finanzierenden Partnern künftig modulare Open-Access-Finanzmodelle vereinbaren sollten. Unser Vorschlag ist, dies zunächst in der vorgeschlagenen Abstufung zu tun und später feiner granuliert und modular vorzugehen.
Zum Hintergrund

Das diesem Bericht zugrundeliegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 16TOA002 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor*innen.
»TOAA« im Überblick:
www.transcript-verlag.de/bmbf-toaa
Open Access bei transcript:
www.transcript-open.de