Als Commoners begrüßen wir die Haltung der Manifestautor*innen, verschiedene Positionen und Diskurse in einem gemeinsamen Schreibprozess zusammenzuführen. Ein solcher Prozess erscheint uns als angemessener Weg, sich einer zukunftstauglichen »Kunst des Zusammenlebens« zu nähern. Der Einladung, zu den im Manifest skizzierten Ideen und Vorschlägen beizutragen, sind wir daher gerne gefolgt. Sie hat einen gemeinsamen Denk- und Schreibprozess initiiert, dessen Ergebnis wir hier zur Diskussion stellen. […]
Das Buch
Frank Adloff / Volker M. Heins
Konvivialismus. Eine Debatte ↗
Der Nachfolgeband des »Konvivialistischen Manifests« ↗ diskutiert dessen Stärken und Schwächen und sucht nach Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung einer konvivialen Gesellschaft in Politik, Kultur, Zivilgesellschaft und Wirtschaft des deutschsprachigen Raums.
Tatsächlich verweisen die Begriffe Commoning und Commons auf die uns stets offen stehende Möglichkeit, Zusammenleben […] zu gestalten. Sie erfassen begrifflich, was im von Frank Adloff verfassten Vorwort zur deutschen Fassung des Manifests (S. 25f.) als Kern der Konvivialismus-Diskussion benannt wird: »Die assoziative, zivilgesellschaftliche Selbstorganisation von Menschen ist […] entscheidend für die Theorie und Praxis der Konvivialität. Der unentgeltliche freie Austausch unter den Menschen kann als Basis einer konvivialen sozialen Ordnung gelten, die sich abgrenzt von einer allein materiell und quantitativ-monetär definierten Version von Wohlstand und des guten Lebens.«
Von commoning und commons
»Commoning« ist eine soziale Praxis, für die Commons als Struktur und Arrangement den Rahmen bieten. Letztere kann man als Grundlage einer konvivialen Gesellschaft fassen, ersteres als ihren lebendigen Ausdruck. […] Commons lassen sich im Wesentlichen als institutionelles, rechtliches und infrastrukturelles Arrangement für ein Miteinander – das Commoning – beschreiben, bei dem Nutzung, Erhaltung und Produktion vielgestaltiger Ressourcen gemeinsam organisiert und verantwortet werden. Die Regeln des Commoning werden (idealerweise) im gleichberechtigten Miteinander von Peers festgelegt, deren Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Möglichkeiten individueller Selbstentfaltung verbinden sich dabei mit der Suche nach gemeinsamen Lösungen, sinnerfüllte Tätigkeiten mit der Ausweitung und Vertiefung von Beziehungen sowie die Schaffung materieller Fülle mit der Fürsorge für andere Menschen und die Natur. Dieses Miteinander wurde und wird in unterschiedlicher Ausprägung von Gemeinschaften auf der ganzen Welt praktiziert. […]
Ergebnisse von Commoning können traditionell die zukunftstaugliche Nutzung natürlicher Ressourcen, wie Wald, Wasser oder Boden sein. So etwa bei Bewässerungssystemen, für deren gemeinsame Nutzung sich die beteiligten Menschen, die Commoners, Regeln geben, welche eine langfristige Bedürfnisbefriedigung (Bewässerung der Felder, Schutz der Wasserqualität usw.) ermöglichen. Gleichzeitig kann Commoning auch die Grundlage dafür sein, Neues hervorzubringen: Wissen, Hardware, Software, Nahrungsmittel oder ein Dach über dem Kopf. […]
Menschliche Hybris oder strukturelles Gegeneinander?
Im Manifest wird unter der Überschrift »Die Mutter aller Bedrohungen« im Zusammenhang mit den großen Menschheitsproblemen die Frage als zentral identifiziert, wie »mit der Rivalität und der Gewalt zwischen den Menschen« (S. 45) umzugehen sei. Diese Hervorhebung scheint berechtigt, schließlich sind Rivalität und Gewalt offensichtliche Erscheinungsformen unseres Zusammenlebens. Sie lassen sich weder ignorieren noch wegdiskutieren. Werden sie jedoch nicht auch auf ihre strukturellen Ursachen zurückgeführt, entsteht der Eindruck, dass die Ursachen ausschließlich in den Menschen selbst zu suchen seien, etwa darin, dass »jeder Mensch danach strebt, in seiner Besonderheit anerkannt zu werden«, wobei eine »gesunde Gesellschaft« es verstehe »zu verhindern, dass sich dieses Streben in Maßlosigkeit, in Hybris verwandelt« (S. 48). Folgerichtig wird die »moralische Frage« gestellt, was die Individuen »sich erhoffen dürfen oder sich untersagen müssen« (S. 50). […]
Perspektivenwechsel
Auf der Suche nach grundsätzlichen Alternativen und zur Schärfung unserer Sinne für eine neue »Kunst des Zusammenlebens« müssen wir nach Begriffen und Kategorien suchen, die mit den kritisierten Grundannahmen und Begrifflichkeiten brechen, um uns einer Gesellschaftlichkeit auf Grundlage positiv-reziproker Strukturlogiken zu nähern. Dabei geht es um ganz grundsätzliche Fragen: Wie wollen wir unsere Lebensbedingungen so herstellen, dass niemand unter die Räder kommt – auch kommende Generationen nicht? Und wie können sich alle Betroffenen an diesem Prozess beteiligen? […]
Das Manifest formuliert vier Prinzipien einer »einzig legitimen Politik«: gemeinsame Menschheit, gemeinsame Sozialität, Individuation und Konfliktbeherrschung (S. 61).
[…]
Verantworten und In-Beziehung-Sein
Merkmal der Exklusionslogik der Warenproduktion ist, dass vorankommt, wer sich auf Kosten anderer durchsetzt und dabei partielle Bündnisse eingeht. Dem steht die Inklusionslogik als bestimmendes Merkmal von Commons gegenüber. Hier gedeiht, was genügend viele und geeignete Mitmachende findet. Die grundsätzliche Freiwilligkeit, der in der Warenlogik der Zwang zur (Selbst-)Verwertung gegenübersteht, setzt voraus, dass Strukturen einladend und motivierend sein müssen. […] Die Inklusionslogik der Commons ist auf die Entfaltung der konkreten Besonderheit des individuellen Menschen als Voraussetzung für die Entfaltung aller Menschen ausgerichtet. Wenn dies in Commons-Kontexten gelingt und ein Mensch beispielsweise neue Fähigkeiten entwickelt, die er dann einbringen kann, nützt das tendenziell auch allen anderen, weil anstehende Aufgaben besser, einfacher oder von mehr Menschen erledigt werden können. Je größer der Fähigkeitenpool, aus dem kollektiv geschöpft werden kann, desto besser. […]
Niemand kann alle Externalisierungen kennen, die durch den eigenen Einkauf gefördert werden, geschweige denn sie vermeiden oder beseitigen. Wenn auch das Öko-Waschmittel monokulturell angebautes Palmöl enthält, dann werden die Grenzen ethischen Konsums deutlich. So verfehlen viele Bemühungen, »korrekt einzukaufen« letztendlich ihre intendierte Wirkung. Es mag zwar subjektiv ein »besser als« geben, wirklich emanzipatorisch und selbstbestimmt wird das Handeln dadurch jedoch nicht. Man kann es auch so formulieren: Die faktische Unmöglichkeit verantwortlichen Handelns resultiert in struktureller Selbstfeindschaft. Befriedige ich ein Bedürfnis, so verletze ich ein anderes – von mir selbst oder von anderen. Umgekehrt schaden andere mir, ohne es subjektiv zu wollen. […]
Polyzentrische Selbstorganisation
[…]
Eine auf Commons basierende Gesellschaft lässt sich als soziales Makronetzwerk denken, in dem die dezentralen Commons-Einheiten verteilte Knoten im Netz darstellen. Große soziale Netzwerke bilden über interne Ausdifferenzierung funktionale Cluster und Hubs (Verdichtungen und Knotenpunkte) mit vielen Verbindungen. Sie sind dadurch flexibel restrukturierbar und fehlertolerant, so dass abgetrennte Teilnetze beim Ausfall wichtiger Hubs (z.B. bei Katastrophen) weiterhin ihre Funktion erfüllen können. Diese Eigenschaften wurden bereits in großen Commons-Strukturen wie beispielsweise Bewässerungssystemen beobachtet und als polyzentrische Selbstorganisation gefasst. Anders als in hierarchischen Systemen mit einem Entscheidungszentrum an der Spitze, bilden sich viele Zentren heraus, die jene differenzierten Funktionen wahrnehmen, die eine aufgabenteilige Gesellschaft braucht (Re-/Produktion, Infrastrukturen, Koordination, Planung, Information etc.). Entscheidend ist dabei, dass die spezialisierten Funktionen in das gesamtgesellschaftliche Vermittlungsnetz eingebettet bleiben und auch als Commons organisiert sind. […]
Ein Perspektivenwechsel ist erforderlich: Statt entfremdeter Planung und Organisation der Produktionsprozesse geht es um die Selbstplanung und Selbstorganisation durch die Menschen – Produzent*innen wie Nutzer*innen. Statt für andere die Prozesse zu organisieren und zu planen, sind die Bedingungen und organisatorischen Infrastrukturen durch die betroffenen Menschen selbst zu schaffen. Die Frage ist also nicht, ob geplant wird, sondern für und durch wen, wie, wo, und entlang welcher Kriterien. Jede Gesellschaft ist in diesem Sinne eine »Plangesellschaft«. Der Perspektivenwechsel besteht nun darin zu erkennen, dass die Menschen dann ihre Angelegenheiten erfolgreich in die eigenen Hände nehmen können, wenn sie dafür geeignete Entfaltungsvoraussetzungen haben. […]
Zum Schluss
Wir sind davon überzeugt, dass Commons jene »Kunst des Zusammenlebens« repräsentieren können, »die die Beziehung und die Zusammenarbeit würdigt und es ermöglicht, einander zu widersprechen, ohne einander niederzumetzeln, und gleichzeitig für einander und für die Natur Sorge zu tragen« (S. 47). Anders gesagt: Commoning ist – wenn es gelingt – konviviale Praxis und muss als solche immer wieder neu eingeübt werden. Das ist nicht so, weil Commoners die besseren Menschen sind oder einer Ethik folgen, die andere noch nicht verstanden haben, sondern weil Commons eine qualitativ andere Weise sind, die Lebensbedingungen herzustellen – eine Weise, in der es funktional ist, inklusiv und nicht ausgrenzend, ressourceneffizient und nicht-verschleudernd, bedürfnis- und nicht verwertungsorientiert zu handeln. Derartige Lebensbedingungen sind weder das Schlaraffenland noch frei von Konflikten, doch sie sind Voraussetzung dafür, unsere Unterschiede so zu leben und unsere Konflikte so auszutragen, dass niemand mehr unter die Räder kommt.
Literatur
Gronemeyer, Marianne (o.J.): Convivial. Der Name ist Programm, www.convivial.de/about5.html (Zugriff am 30.01.2015).
Holmgren, David (2014): Permakultur. Gestaltungsprinzipien für zukunftsfähige Lebensweisen, Klein Jasedow: Drachenverlag.
Meretz, Stefan (2014): »Grundrisse einer freien Gesellschaft«, in: Tomasz Konicz/ Florian Rötzer (Hg.), Aufbruch ins Ungewisse. Auf der Suche nach Alternativen zur kapitalistischen Dauerkrise, Hannover: Heise S. 152-182.
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