
Tatiana Zimenkova (Dr.), geb. 1977, ist Professorin für Soziologie an der Hochschule Rhein-Waal und hat dort das Amt der Vizepräsidentin für Internationalisierung und Diversität inne. Ihre Forschungs- und Transferinteressen sind politische Partizipation, Sexual Citizenship, Diversität und Teilhabe, Normierungen sowie urbaner Zusammenhalt.
Die Pandemie hat auf allen Ebenen Anstöße zur längst überfälligen Digitalisierung gegeben. So auch für die Hochschulen, die als Teil des Bildungssektors besonders strenge Maßnahmen einzuhalten hatten und die über mehrere Semester von leeren Campus und der Einfindung in die Online-Lehre geprägt waren. Hochschulen befinden sich aber auch unabhängig von der Pandemie in einem Prozess der Restrukturierung, der durch dieses Ereignis herausgefordert ist.
Über die wichtigsten Änderungen in Lehre, Administration, im Kontakt zu Studierenden und über neue Herausforderungen bezüglich der Bildungsgerechtigkeit informiert die Hochschullehrerin Tatiana Zimenkova.
»Things will never be the same again«, so lautet der Titel der Einleitung zu Ihrem Sammelband. Was sind für Sie die wesentlichen Änderungen, die die Pandemie im Bereich der Hochschullehre und -verwaltung nach sich gezogen hat?
Die Pandemie hat an den Hochschulen eine – manche würden sagen längst überfällige – beschleunigte Digitalisierung ausgelöst und uns zur Selbstreflexion dieser gezwungen: Wie kommt was bei Studierenden an? Wie funktioniert die mittelbare und unmittelbare Kommunikation?
Wir alle, Lehrende, aber auch Hochschuldidaktiker*innen und Hochschuladministrationen haben gelernt, wie wir Lehre digital optimieren können und gleichzeitig ebenso gesehen, wie wichtig das Aufeinandertreffen von Menschen nicht nur für den Lernprozess ist. Inwieweit, und vor allem in welchem Umfang digitale Formate in der Lehre aufrecht erhalten bleiben sollen, da gehen die Meinungen auseinander. Während die einen z.B. bei größeren Einführungsveranstalltungen für besonders geeignet die vernetzten digitalen Formate halten, argumentieren andere, es seien gerade diese Veranstaltungen, die in Präsenz gelehrt werden sollten, da die Studierende in der Zeit in das Hochschulleben einsozialisiert werden.
Zu der beschleunigten Selbstreflexion der digitalen Lehre gehören auch die Erfahrungswerte der Lehrenden. Während – jenseits der Pandemie – Dozent*innen oft Einzelgänger*innen waren, haben sie sich während des Lockdowns vermehrt vernetzt, um gegenseitig niederschwellig Best-Practice-Beispiele miteinander auszutauschen und sich beizustehen. Die Gleichzeitigkeit der Herausforderung für alle hat für mehr gegenseitige Hilfe und zu Solidarität geführt.
Auch die Selbstverwaltung der Hochschule hat einen digitalen Schub erfahren und ist mutiger geworden. Prozesse sind nun nachhaltig digitalisiert. Insgesamt sind wir als Hochschulen nun gut aufgestellt, New Work zu ermöglichen und uns den aktuellen Bedürfnissen und Arbeitsbedingungen anzupassen. Wir haben gesehen, dass wir digital ebenso effektiv arbeiten wie offline und nicht zuletzt haben wir es als Hochschule unseren Arbeitnehmer*innen ermöglicht, Arbeit und Care-Work miteinander zu vereinbaren – damit ist ein Meilenstein für die Zukunft der familienfreundlichen Hochschule erreicht.
Frau Prof. Zimenkova, Sie sind selbst als Hochschullehrerin tätig. Wie hat sich der Kontakt zu Ihren Student*innen durch die Pandemie verändert?
Der Kontakt zu meinen Studierenden ist durch die Pandemie digitaler geworden – und es ist zum Teil auch so geblieben. Auch hier hat ein Reflexionsprozess stattgefunden: Als internationale Hochschule mit über 50 Prozent internationalen Studierenden war und ist die erste Frage im digitalen Kontakt: Wo auf der Welt befinden Sie sich gerade und in welcher Zeitzone sind Sie? Ist die Kamera ausgeschaltet aufgrund einer Konsumhaltung der Studierenden oder dringt eine angeschaltete Kamera zu sehr in die Privatsphäre ein? Aber auch jetzt ist es einfacher für meine Studierende, die ihre empirische Arbeiten oder Praktika im Ausland absolvieren, in einen direkten Kontakt in der Videosprechstunde zu bleiben. So sind alle flexibler und bleiben vernetzt.
Die Gespräche mit Studierenden sind durch Corona sehr viel emotionaler geworden, da merken wir: Wir sind für unsere Studierenden mehr als nur Wissensvermittler*innen. Und – hier muss ich meinen Hut zur Hochschulleitung wechseln – der enge Austausch, den ich während der ersten zwei Jahre Pandemie mit den Studierendenvertreter*innen als Vizepräsidentin der Hochschule hatte, war die wahrscheinlich intensivste Zusammenarbeit mit Studierenden auf absoluter Augenhöhe, die ich in meiner gesamten Laufbahn erlebt habe.
Nachdem wir mitgekriegt haben, dass unsere Studierenden die Corona-Pandemie mitunter noch einschränkender erlebt haben, als wir in Deutschland, je nach dem wo sie sich auf der Welt aufgehalten haben, teilweise wochenlang nicht die Wohnung verlassen konnten oder auch abgeschnitten von deiner eigenen Familie waren, teilen wir gerade die enorme Freude mit ihnen über die wieder gewonnene Präsenz.
Eines der »Heilsversprechen« der Digitalisierung ist, wie Sie schreiben, die Bildungsgerechtigkeit. Was sind Ihre Prognosen diesbezüglich?
Ein aktuell trauriges Ereignis, der russische Invasionskrieg in der Ukraine, zeigt bereits jetzt, inwieweit sich dieses Versprechen bewahrheiten kann: Studierende aus der Ukraine, die zumindest im physischen Sinne keine Hochschule mehr haben, – weil der Campus zerstört wurde oder unbenutzbar ist, weil die Gebiete besetzt sind – lernen weiter, auf der Flucht oder aus dem Keller – online. Mit Hilfe von Messengerdiensten oder Sozialen Netzwerken findet dieser Lernprozess statt und gibt den Menschen ein Stück weit Normalität zurück.
Gleichzeitig muss man sich den sog. Digital Divide bewusst machen – nicht jeder Mensch kann sich ein Endgerät leisten oder hat die Möglichkeit, online zu gehen. Nicht zuletzt kommt es auch auf den individuellen Lerntyp an. Während die einen komplett online klarkommen, brauchen die anderen den Kontakt in Präsenz, um lernen zu können.
Unabhängig vom Lerntyp sollten wir jedoch im Sinne des Capacity building überall dort digitale Bildung möglich machen, wo sie gebraucht wird – in Krisengebieten, für Menschen mit Krankheiten oder Care-Verantwortung. Dann hat die Digitalisierung die Möglichkeit, in Sachen Bildungsgerechtigkeit einiges zu erreichen.
Holger Angenent / Jörg Petri / Tatiana Zimenkova (Hg.)
Hochschulen in der Pandemie ↗
Impulse für eine nachhaltige Entwicklung von Studium und Lehre
Die Coronapandemie stellt Hochschulen vor bisher ungeahnte Herausforderungen. Digitalisierung und Online-Lehre bestimmen das Bild, während Campus und Seminarräume verwaisen. Welche Auswirkungen haben diese Veränderungen auf Studierende und Lehrende? Werden Diskriminierung und Exklusion durch digitale Lehre verstärkt oder gemindert? Und wie können Hochschulleitungen auf das »New Normal« reagieren? Die Zusammenführung von Forschungsergebnissen, Lessons Learned und Best Practice-Beispielen zeigt, wie sich Hochschulen – und Hochschullehre – durch die Erfahrungen aus der Pandemie verändern, und bietet Impulse für eine nachhaltige Hochschulentwicklung.