Nachhaltigkeit wird häufig anhand von drei Dimensionen oder Säulen konzeptualisiert: ökologische Nachhaltigkeit, wirtschaftliche Nachhaltigkeit und soziale Nachhaltigkeit. Diese Perspektive führte zum Triple-Bottom-Line-Konzept, das sich auf den Betrieb von Unternehmen bezieht und im Nachhaltigkeitsmanagement weit verbreitet ist. Der Triple-Bottom-Line-Ansatz unterschätzt jedoch beispielsweise die Bedeutung, die Museen in den komplexen Transformationsprozessen auf lokaler Ebene spielen können.
Ökologische, ökonomische und soziale Aspekte sind auch für Museen wichtig. Aber bei dieser Sichtweise fehlt ein zentraler Aspekt eines jeden Museums: die Interaktion mit dem Besucher. Daher müssen die Museen die Programmatik als weitere Dimension in ein Nachhaltigkeitsverständnis für Museen integrieren. Bei der Anwendung der Nachhaltigkeitsidee auf den Museumssektor kann zu den drei Dimensionen der Triple-Bottom-Line die vierte Dimension des Programms hinzugefügt werden. Dieses Konzept für Museen kann als Quadruple-Bottom-Line bezeichnet werden:
- Planet, der ökologische Fußabdruck. Die Umweltauswirkungen von Museen sind die offensichtlichsten Verbindungen zum Konzept der Nachhaltigkeit. In diesem Aufgabenfeld existieren zwei maßgebliche Ansätze: Erstens das Ressourcenmanagement und zweitens bewusstseinsbildende Maßnahmen.
- People, die soziale Gerechtigkeit. In Museen stehen hier die Themen Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Gender, indigene Völker, Vertreibung, De-Kolonisation und Restitution im Mittelpunkt. Daneben spielen Aspekte von Inklusion, Gleichberechtigung und Zugang eine Rolle für den Museumsbetrieb.
- Profit, die ökonomische Leistung. Für Museen umfasst ökonomische Nachhaltigkeit Fragen zu ihrer finanziellen Resilienz, Einsparungen durch Ressourceneffizienz sowie eine Postwachstums-Strategie.
- Programm, der Auftrag des Museums. Nachhaltige Programmatik bedeutet alle Aspekte des Programms auf Nachhaltigkeit hin auszurichten. Dazu gehören beispielsweise Ausstellungen oder museumspädagogische Angebote, genauso wie kooperative Projekte.
Das nachhaltige Museum ↗
Vom nachhaltigen Betrieb zur gesellschaftlichen Transformation
Nachhaltigkeit muss zum zentralen Bezugspunkt in der Museumspraxis werden – programmatisch, ökologisch und gesellschaftlich. In 17 illustrierten Kapiteln zeigt Christopher Garthe, wie das geht, und liefert den Bezugsrahmen für eine umfassende Beschäftigung mit Nachhaltigkeit in Museen und Ausstellungen. Dazu vereint er die Darstellung konkreter Instrumente mit Eigenschaften eines Nachschlagewerks und übersetzt die vom ICOM initiierte Diskussion um die Zukunft des Museums in das erste vollständige Kompendium zum nachhaltigen Museum. Vom Facility-Management bis zur Kunstvermittlung, von nachhaltiger Konservierung bis zur Citizen Science – das Museum der Zukunft muss sich neu erfinden.
Aus dem Blickwinkel vieler Museen erscheint es naheliegend, neben den drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales, Kultur als die vierte Dimension von Nachhaltigkeit in Museen zu verankern. Auch wurde darauf hingewiesen, dass Kultur und Nachhaltigkeit sich zwangsläufig gegenseitig bedingen und kulturelle Entwicklung und Dynamik die Nachhaltigkeit positiv beeinflussen. Kultur als vierte Säule der Nachhaltigkeit ist aus theoretischer Sicht nachvollziehbar und für das weite Feld der Kulturpolitik überaus zielführend. Der Wert von Kultur für eine nachhaltige Entwicklung ist ebenfalls unbestritten und die Reflexion und Diskussion über kulturelle Nachhaltigkeit schärft und bereichert den Nachhaltigkeitsdiskurs insgesamt.
Kultur als vierte Dimension von Nachhaltigkeit zu etablieren, könnte jedoch die Umsetzung von Nachhaltigkeit in Museen verkomplizieren, denn die Schnittstellen von Kultur und Museumsarbeit sind so mannigfaltig, dass die Abgrenzung zu den anderen Dimensionen, insbesondere der sozialen Nachhaltigkeit, unübersichtlich wird. Für die Umsetzung von Nachhaltigkeit im Museumsbetrieb bleibt die kulturelle Dimension zu umfassend und gleichermaßen zu herausfordernd. Programm als vierte Dimension der Nachhaltigkeit stellt eine Engführung von Kultur für die Spezifika des Museumsbetrieb dar. Dieses Nachhaltigkeitsverständnis folgt damit einem pragmatischen und anwendungsorientieren Blick auf Museen.
Starke Nachhaltigkeit und planetare Grenzen der Museumsarbeit
Für eine weitere Konkretisierung des Nachhaltigkeitsbegriffs für die Museumsarbeit sind auch die Wechselwirkungen zwischen den Dimensionen der Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. Im Zentrum dieser Überlegung stehen dabei die Konzepte von starker und schwacher Nachhaltigkeit. Schwache Nachhaltigkeit basiert auf der Überzeugung, dass ökologische, ökonomische und soziale Ressourcen gleichberechtigt beurteilt werden und sich gegeneinander aufwiegen lassen. Wirtschaftliches Handeln und der Schutz der Lebensgrundlagen stehen dabei gleichrangig nebeneinander. Die Visualisierung eines Drei-Säulen-Modells legt häufig auch diese Auslegung von Nachhaltigkeit nahe. Starke Nachhaltigkeit erkennt dagegen an, dass natürliche Ressourcen vielfach nicht erneuerbar sind und in der Regel auch nicht durch Menschen oder Sachkapital ersetzt werden können. Das führt zu der Erkenntnis, dass absolute Grenzen des Wachstums existieren und es einen Entwicklungskorridor für menschliche Entwicklung gibt, in dem ein begrenzter Spielraum zur Umsetzung wirtschaftlicher und sozialer Ziele liegt. Diese Auffassung einer starken Nachhaltigkeit ist auch als Donut-Modell der Nachhaltigkeit bekannt, das für das nachhaltige Museum als Ausgangspunkt dient. Anders als beim Drei-Säulen-Modell ist das ökonomische System in das soziale System eingebettet, das daher Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Handeln vorgibt. Das soziale System ist wiederum in das ökologische System eingebettet, das die planetaren Entwicklungsgrenzen für Ökonomie und Soziales definiert. Die ökologische Dimension umhüllt demnach die ökonomische wie auch die soziale Dimension.
Die Anwendung des Drei-Säulen-Modells führt häufig dazu, dass ökonomische Belange mit Verweis auf Arbeitsplätze, Wohlstand und andere soziale Folgen argumentativ der Vorrang eingeräumt wird. Ein ökologischer Umbau oder soziale Gerechtigkeit sind nur insofern umsetzbar, als die ökonomische Säule dadurch nicht zu sehr reduziert wird. Im Donut-Modell der starken Nachhaltigkeit greift diese Argumentation nicht mehr, da soziales Umfeld und ökologische Grenzen die Vorgaben für die ökonomischen Aktivitäten darstellen.