Memes können sich produktiv auf die sogenannte Hochkultur beziehen, sie können komplexe Verweisstrukturen aufweisen und sich inspirieren lassen durch die Kunst- und Literaturgeschichte, avancierte ästhetische Verfahren zur Anwendung bringen und sie gleichzeitig ironisieren. In ihrer ganzen formalen Vielschichtigkeit können sie konkrete aktivistische Zwecke verfolgen und gleichzeitig über die Kultur der Digitalität reflektieren respektive deren Instrumente und Limitationen gekonnt und selbstreflexiv einsetzen, zum Beispiel, wenn die Zensurpolitik und -algorithmen großer Plattformen ins Kreuzfeuer humoristischer Kritik geraten. Die Algorithmen werden sogar in den Rang von ›Memeproduzenten‹ erhoben, wenn man sie durch aufgeklebte Nippel austrickst oder bestimmte Inhalte gezielt ›blockieren‹ lässt, um offenzulegen, dass die Zensurmechanismen Dünen für Brüste halten – und ihre vermeintliche Autorität so einem befreienden Lachen auszusetzen.

Joanna Nowotny / Julian Reidy

Memes – Formen und Folgen eines Internetphänomens

»Das Thema könnte nicht aktueller sein. Ein informativer, erkenntnisreicher und zugleich unterhaltsamer, kurzweiliger sowie hervorragend geschriebener Einblick in ein gesellschaftlich relevantes Phänomen der digitalen visuellen Kultur.«

Dr. Véronique Sina, Medienwissenschaftlerin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Solche memes stehen insofern im Dienst ›progressiver‹ Anliegen, als sie einem antiautoritären, im weitesten Sinne emanzipatorischen Impetus folgen. Sie zeigen, wie User*innen in der Digitalkultur jederzeit gegen die Plattformen memetisch agitieren können, auf denen sie ihre Inhalte posten und Gruppenidentitäten ausbilden, die durch Selbst- und Fremdzuschreibungen geprägt sind. Das geschieht freilich nicht ohne die Ironie, dass auch die erfolgreichste, kreativste und frechste meme-Kampagne ihrerseits nur wieder zum Erfolg der jeweils doch eigentlich kritisierten oder lächerlich gemachten Plattform beiträgt, ohne dass deren Eigentümer*innen irgendwelche Konsequenzen aus den artikulierten Anliegen ziehen müssen.

Ein ganz anders gearteter ›Aktivismus‹ lässt sich beim Cartoonfrosch Pepe beobachten: Er ist eine memetisch fruchtbare, aber harmlose Comicfigur, kann also im Netz dasselbe ›bedeuten‹ wie offline, ganz im Sinne der Normalisierungshypothese. Gleichzeitig ist er ein Symbol des Neofaschismus und eine Ikone der Hongkonger Demokratiebewegung, ›mobilisiert‹ folglich widersprüchliche Kräfte und Kollektive ›im wirklichen Leben‹, darunter auch so unheilvolle, dass man den Frosch als Beleg für eine demokratiezersetzende Wirkung der Internetkultur zitieren könnte – die Bilder der Pepe-Masken und -Flaggen beim Sturm auf das Kapitol in Washington D. C. am 6. Januar 2021 sind prägnant.

Mehrdeutig und facettenreich sind sodann schon nur die basalen Techniken der Komisierung, die in der meme-Welt zur Anwendung kommen: Sie sind anschlussfähig an bestimmte komikgeschichtlich einschlägige Traditionen, mit denen sie sogleich wieder lustvoll brechen. Sie leisten so einem semantisch kaum zu fassenden, schwierig zu rezipierenden Para- oder Meta-Humor im Sinne Attardos Vorschub.

Die Kunstform des meme in ihrer schillernden Vieldeutigkeit, in ihrer bald subtilen, bald drastischen und brachialen Komik, in ihrer wechselweise appellierenden, witzigen, rührseligen, gemeinschaftsbildenden oder ausgrenzenden Rhetorik – diese Kunstform, kurzum, ist das Prisma, durch das die grundständige Widersprüchlichkeit, Fluidität und leider auch Instrumentalisierbarkeit der Kultur der Digitalität besonders scharf in den Fokus rücken.

Dass die Kultur der Digitalität Wut und Bedrängnis sicht- und hörbar macht, kann verstören, weil auch die Wut und Bedrängnis der Diskriminierenden, der Hassenden sicht- und hörbar gemacht werden – aber zugleich entsteht so ein rhetorischer, ästhetischer und kommunikativer Möglichkeitshorizont, vor dessen Hintergrund bestimmte »Auseinandersetzungen« erstmals überhaupt ausgefochten werden können. In diesen »Auseinandersetzungen« werden memes und Memesis immer eine Rolle spielen, und je besser wir diese Phänomene verstehen, desto produktiver und konstruktiver wird besagte Rolle ausfallen. Das ist nun wirklich eine eindeutig gute Nachricht.