»Die Chiffre 11. September ist Ausdruck komplexer globaler Veränderungen«, schreibt Heide Reinhäckel in »Traumatische Texturen. Der 11. September in der deutschen Gegenwartsliteratur« und beschreibt damit treffend die maßgebliche Bedeutung und Konnotation, die das Datum im diskursiven Westen hat. Heute, 20 Jahre nach den Anschlägen, stehen über medialen Rückblicken, persönlichen Erinnerungen und der Frage, was mit Bidens Wahlversprechen passierte, die jüngsten Geschehnisse in Afghanistan und die dortige Machtübernahme der Taliban. Während im Zuge des Abzugs der Truppen vom Ende der 9/11-Ära gesprochen wird, bleibt eine kriegszerrüttete Gesellschaft und die Erinnerung an die Kette der Gewalt, die dem Anschlag am 11. September mit dem »War on Terror« folgten.

Was bleibt, sind Fragen: danach, was und wer erinnert oder vergessen wird, nach dem Ursprung des Kriegs und danach, wie es weitergeht.

Die geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung wirft genauere Blicke auf verschiedene Facetten der Ereignisse rund um 9/11. Unsere Autor*innen bieten Einblicke in diverse Fragestellungen zu Krieg und Terror und eröffnen neue Blickwinkel auf das viel zitierte und diskutierte Datum und seine politischen wie zivilgesellschaftlichen Auswirkungen in den letzten zwei Jahrzehnten.


Heide Reinhäckel

Traumatische Texturen
Der 11. September in der deutschen Gegenwartsliteratur

Der 11. September gilt als epochale Zäsur, kulturelles Trauma und globales Medienereignis, das die Verknüpfung von Politik, Visualität und Geschichte verdeutlicht hat. Wie verhält sich die deutsche Gegenwartsliteratur angesichts der Medienkonkurrenz und der Inkommensurabilität dieses Ereignisses? Wie schreiben Autoren über die wirkmächtigen Bilderwelten und politischen Folgen der New Yorker Terroranschläge?

Anne Becker

9/11 als Bildereignis
Zur visuellen Bewältigung des Anschlags

Das Erleben der Anschläge vom 11. September 2001 ist aufgrund der Medienberichterstattung stark durch Bilder geprägt. Die Live-Übertragung setzt den medialen Normalbetrieb außer Kraft; in der Folge stellt das Visuelle ein wichtiges Element der Krisenbewältigung dar. Anne Becker zeigt: Schrecken und Schreckensbewältigung in der visuellen Kommunikation von »9/11« lassen sich mit der Kategorie des Schrecklich-Erhabenen fassen. Die Untersuchung beleuchtet neben kommunikationswissenschaftlichen Gesichtspunkten philosophische, kunstgeschichtliche und bildwissenschaftliche Aspekte und fragt nach der gesellschaftlichen und politischen Relevanz spezifischer Visualisierungen.

Artur Pelka

Das Spektakel der Gewalt – die Gewalt des Spektakels
Angriff und Flucht in deutschsprachigen Theatertexten zwischen 9/11 und Flüchtlingsdrama

Welche Auswirkung hat die Eskalation des Terrors auf die deutschsprachige Dramatik? Wie reagieren zeitgenössische Theatertexte auf Angriff und Flucht und welche politische Sprengkraft geht von der Theater-Literatur aus?

»Artur Pelka hat die Texte sehr klug ausgewählt, da sie sich in ihrer Ästhetik auffällig unterscheiden. Er versteht es, diese Werke so zu durchdringen, dass sich ihre Form als Spiegel eines politischen Anliegens ganz bodenständig auf ihr Aussagepotenzial und ihre inhaltliche Relevanz beziehen lässt.«

Stefan Schroeder, r:k:m, 19.12.2016

Jesko Bender

9/11 erzählen
Terror als Diskurs- und Textphänomen

Bis heute befasst sich die deutschsprachige Literatur mit dem 11. September 2001. Doch wie kann (vom) Terror erzählt werden?

»›Terror‹ ist kein factum brutum, sondern muss als diskursives Phänomen begriffen werden: Jedem Anschlag folgt eine schier unendliche Rede vom und über den ›Terror‹. Meine Studie eröffnet vor diesem Hintergrund zwei besondere Perspektiven: Erstens formuliert sie eine Kulturtheorie des Terrors, zweitens arbeitet sie mittels akribischer Textlektüren heraus, dass die Literatur maßgeblich zum Verständnis der kulturellen Dimensionen des Terrors beiträgt.«

Jesko Bender

Jennifer Schellhöh ↗ / Jo Reichertz ↗ / Volker M. Heins ↗ / Armin Flender ↗ (Hg.)

Großerzählungen des Extremen
Neue Rechte, Populismus, Islamismus, War on Terror

Was macht radikale Weltbilder so attraktiv? Und wie lässt sich die Renaissance des Extremismus kultur- und sozialwissenschaftlich erklären? Sprach man bis vor Kurzem noch davon, dass Großerzählungen auf dem Schrottplatz der Geschichte liegen, finden sie neuerdings mit der Wiederkehr des Fundamentalismus den Weg zurück in den Diskurs.

»Das Aufkommen von Großerzählungen des Extremen ist ein Zeitzeichen: Die grundlegenden Werte des Westens wie Toleranz und Rationalität beginnen zu erodieren.«

Die Herausgeber*innen

Stephanie Willeke

Grenzfall Krieg
Zur Darstellung der neuen Kriege nach 9/11 in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 und der zunehmenden Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Kampfeinsätzen werden Kriege und Terrorismus vermehrt in der Gegenwartsliteratur reflektiert. Ein wesentlicher Bestandteil dabei sind Grenzkonstruktionen wie Freund vs. Feind und Eigenes vs. Fremdes, die hinterfragt und neu ausgelotet werden.

»Meine Überlegungen werden von der Denkfigur der Grenze geleitet, die überschreitbar oder unüberwindbar ist und sich als Linie oder als Raum formieren kann, womit ich ein zentrales Moment für das Kriegsgeschehen aufgreife. Dabei geht es mir vor allem darum zu zeigen, wie die neuen Kriege in den Romanen aus der Perspektive von drei unterschiedlichen Kriegsakteuren zur Anschauung gebracht werden: aus Sicht der Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten, der Kriegsreporter und der Terroristen.«

Stephanie Willeke