
Bernd Kortmann / Günther G. Schulze (Hg.)
Unsere Welt nach der Pandemie – Perspektiven aus der Wissenschaft
Wie sieht die Welt nach Corona aus? Was bleibt von der Krise? Führende Wissenschaftler*innen aus Geistes-, Sozial-, Natur- und Lebenswissenschaften geben Antworten und Orientierung.
Die Weltordnung nach Corona
Nicht nur unser lokales Zusammenleben erfährt große Einschnitte durch die Corona-Pandemie. Auch globale Ordnungen werden zwingend neu ausgehandelt.
Der Globalhistoriker Jürgen Osterhammel zieht aus der Pandemiegeschichte fünf Schlussfolgerungen: Seuchen gehören zur historischen Normalität, sie nutzen die Logistik ihrer Zeit, die Reaktion auf die Krise war immer weniger global als die Krise selbst, für das Individuum ist die Pandemie ein abstraktes Konstrukt und die Seuchenbekämpfung folgt den seit dem 15. Jahrhundert praktizierten Mustern. Er beschreibt dann die Corona-Pandemie im globalen Krisenkontext, der charakterisiert ist durch eine zunehmende Abkehr vom Multilateralismus und die Übernahme des »my country first«-Politikansatzes. Die dringlicher werdende Global Governance wird durch Corona schwieriger.
Der Ökonom und China-Experte Bert Hofman beschreibt die Geschichte des amerikanisch-chinesischen Dualismus und den Aufstieg Chinas zur globalen Macht. Er beschreibt die Wirkung der Corona-Pandemie auf die Weltordnung – China wird außenpolitisch durchsetzungsfähiger und im Inland repressiver, der sino-amerikanische Antagonismus wird sich durch die ausgelöste Wirtschaftskrise verschärfen, was zu stärkerer wirtschaftlicher Abgrenzung des Westens führen könnte. Die Lösung globaler Probleme wie besonders des Klimawandels dürfte schwerer werden.
In einer ebenso schonungslosen wie ernüchternden Bestandsaufnahme der aktuellen globalen Ordnung, speziell des Multilateralismus einer liberalen Weltordnung und der Idee internationaler Kooperation zur Lösung grenzübergreifender Probleme, kommt der Politikwissenschaftler Jürgen Rüland zu dem Schluss, dass die Corona-Krise den Niedergang beider Leitprinzipien internationaler Politik früherer Jahrzehnte weiter beschleunigt hat. Er weist dies anhand der Verhaltensmuster und mehr oder weniger explizit geübten Praxis der letzten Monate und Jahre in der EU, in den USA der Trump-Ära und vor allem eben auch in China nach, kulminierend in der Prognose, dass es letztendlich der »flache« Multilateralismus und die nicht-liberalen Normen und Weltsichten Chinas sein werden, die schon mittelfristig die internationale Weltordnung prägen werden.
Die Islamwissenschaftlerin Nadia al-Bagdadi widmet ihren Beitrag ganz der Frage nach der Welt nach Corona – und was überhaupt damit gemeint sein kann. Von welchem Standpunkt aus, an welchem Ort der Welt, mit welcher Temporalität soll man sie sich denken – und worum in erster Linie kann es in ihr gehen? Besonders geprägt bei der Beantwortung dieser Fragen hat sie die Erfahrung plötzlich geschlossener nationalstaatlicher Grenzen innerhalb Europas, die sie zu einem engagierten Plädoyer für die Post-Corona-Welt als zuvorderst einer globalen Welt führt »mit einer neuen Ordnung wirtschaftlicher, sozialer und wissenschaftlicher Netzwerke und Institutionen«.
Wie ist nun mit diesen diversen Facetten der Auseinandersetzung mit dem Corona-Virus umzugehen? Ein Fazit wird gezogen und Potentiale für die Zukunft ermittelt:
Die Corona-Pandemie hat zwei Erkenntnisse bei der Bevölkerung hervorgebracht: die der individuellen und systemischen Verwundbarkeit und die Bedeutung guter politischer Führung für die Bewältigung der Krise. Für diesen Zusammenhang skizziert Günther G. Schulze abschließend einen Referenzrahmen für die Beurteilung guter politischer Führung. Er prognostiziert, dass die Krise bestehende Trends verschärfen, aber auch neue Vulnerabilitäten schaffen wird. Vor allem aber kann sie eine stärker wissenschaftsbasierte Politik fördern, weil diese in der Krise bessere Resultate erzielt hat.