Im Juli 1990 erklommen Behindertenrechts-Aktivist*innen die Treppe zum Kapitol in Washington D.C., teils in Rollstühlen, auf Krücken oder den Knien, und zwangen den damaligen Präsidenten George Bush zur Unterzeichnung des Americans with Disabilities Act, kurz ADA. Auf diesen Meilenstein der US-amerikanischen Geschichte geht der Disability Pride Month zurück.
Der Juli steht seither für das Feiern der Selbstermächtigung behinderter Menschen, die Anerkennung und Sichtbarmachung ihrer Erfahrungen und Erlebnisse und das Insistieren auf die Notwendigkeit einer barrierefrei zugänglichen, inklusiven Welt.
In zahlreichen Kommunen, Ortschaften und auch Ländern werden behinderte Menschen auch im Jahr 2023 noch aus dem öffentlichen Raum verdrängt, ihre Bedürfnisse unsichtbar gemacht und übergangen.
Protestbewegungen weltweit setzen sich für die Stärkung ihrer Rechte auf Teilhabe, Inklusion und Integration ein und verknüpfen das Zelebrieren ihrer Identität mit wichtigen politischen Forderungen.
Drei essenzielle Aspekte der Disability Pride-Bewegung sind Akzeptanz, Gemeinschaft und Geschichte. Sich als Teil einer Community mit anderen Betroffenen über Diskriminierungserfahrungen austauschen zu können, hilft vielen behinderten Personen, diese als solche zu erkennen und zu benennen und negative Gefühle wie Scham oder Demütigung umzukodieren in Selbstachtung, Tatendrang und Empowerment – immer mit einem Augenmerk auf das Verbesserungspotential der Gesellschaft, denn grundsätzlich gilt: Man ist nicht behindert, man wird behindert.
(Weiter-)Bildung, Aufklärung und die Zugänglichkeit von Schilderungen aus den Lebensrealitäten behinderter Menschen spielen auch im wissenschaftlichen Kosmos eine übergeordnete Rolle, wenn es um Behinderung als Forschungsgegenstand geht.
Die Autor*innen der diesjährigen transcript-Neuerscheinungen aus dem Feld der Disability Studies untersuchen u.a. die Schnittstellen von Behinderung und Queerness, die Motive der Selbstbestimmung und des Alterns sowie das Zusammenspiel von multiprofessionellen Teams und Eltern an inklusiven Schulen.

Bei der alten Version der Disability Pride Flag hatten die Streifen einen Zickzackverlauf. Dieser sollte dafür stehen, dass behinderte Menschen Barrieren überwinden müssen, und für ihre Kreativität bei dieser Aufgabe. 2021 überarbeitete Ann Magill die Flagge, nachdem sich Hinweise häuften, dass das alte Design epileptische Anfälle und Migräneattacken auslösen kann.
Hilfsbedürftig oder selbstbestimmt? ↗
Darstellungen von Menschen mit Beeinträchtigung und Inklusion im Schulbuch
Alles inklusiv? Wie sich die Thematisierung von Menschen mit Beeinträchtigung und Inklusion in Schulbüchern verändert.
»Es ist wichtig, dass sich alle Rezipient*innen eines Mediums gemeint und gesehen fühlen. Hierzu bedarf es diversitätssensibler, gut informierter Materialien, die im besten Falle mittels eines partizipativen Prozesses konzipiert worden sind.«
Carolin Bätge
Crip-queere Körper ↗
Eine kritische Phänomenologie des Theaters
Wie kann die Theaterwissenschaft crip und queer werden? Ein kritischer Blick auf die Aufführungsanalyse anhand von behinderten, queeren Künstler*innen.
»Im Theater sind queere und behinderte Perspektiven immer stärker vertreten, und eine davon motivierte Perspektive auf unsere Wissenschaft erscheint mir für die Betrachtung dieser Phänomene aus akademischer Perspektive relevant.«
Mirjam Kreuser
Narrating Experiences of Alzheimer’s Through the Arts ↗
Phenomenological and Existentialist Descriptions of the Living Body
An analysis of stories told by subjects with Alzheimer’s and their caregivers based on phenomenology and the arts.
»The description of the psycho-organic body with Alzheimer’s, as a teller of its own story in parallel with that of its caregivers, can bring contributions related to how it experiences sensations and feelings and is affected by them with the progression of the disease.«
Ana Paula Barbosa-Fohrmann
Körperlicher Umbruch ↗
Über das Erleben chronischer Krankheit und spät erworbener Behinderung
Was bedeutet es in den westlichen Gesellschaften der Jahrtausendwende, chronisch krank zu werden oder dauerhaft mit einer Behinderung zu leben? Ausgehend von subjektiven Erfahrungen Betroffener wirft Bernhard Richarz den Blick auf das somatische Geschehen, dessen prozesshafte individuelle psychische Verarbeitung und die soziokulturellen Rahmenbedingungen. Er leitet chronische Krankheit und Behinderung aus einer Phänomenologie des Körpers ab und ordnet die subjektive Darstellung des Erlebens in den Prozess der Identitätsarbeit ein. Damit eröffnet er den Blick auf das Zusammenwirken von Körper, Selbst und Alterität im Kontext der Persönlichkeitsentwicklung.
Ab August:
Leben und Altern mit ›geistiger Behinderung‹ ↗
Biographische Einblicke und Perspektiven für Forschung und Handlungspraxis
Stimmen einer oft überhörten Gruppe: was das Alter(n) für Menschen mit »geistiger Behinderung« bedeutet.
»Eine facettenreiche Entdeckungstour, in der so viel mehr enthalten ist, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.«
Michael Börner
Ab November:
Birgit Lütje-Klose / Elke Wild / Julia Gorges / Phillip Neumann / Sandra Grüter / Antonia Weber / Janka Goldan (Hg.)
Kooperation an inklusiven Schulen ↗
Ein Praxishandbuch zur Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams und mit Eltern
Schulische Inklusion kann nur durch tragfähige Kooperation gelingen. Das Bielefelder Fortbildungskonzept zur Kooperation in inklusiven Schulen (BiFoKi) zeigt, wie die Bereiche teaminterne und multiprofessionelle Zusammenarbeit sowie Familie-Schule-Kooperation optimiert und miteinander in Verbindung gebracht werden können. Die Beiträger*innen des Praxishandbuchs bieten Grundlagen für die eigenständige Durchführung von umfassenden Fortbildungen, die mit Hilfe umfangreicher Online-Materialien auch in einzelne Module geteilt werden können.