Der Lockdown während der Coronakrise hat Menschen weltweit vor Augen geführt, welche extremen Einflüsse das Eingreifen des Menschen in die Natur hat und wie diese sich wiederum erholen kann, wenn der Einfluss unserer lebensverzehrenden Wirtschaft zurückgehen. Bilder von einst versmogten Städten und trüben Gewässern, die sich nun aufgeklärt hatten, gingen um die Welt.
Bereits 2019 plädierte J. Daniel Dahm mit seiner Studie »Benchmark Nachhaltigkeit: Sustainability Zeroline« für die Notwendigkeit zur Neukultivierung des Wechselspiels von Menschheit und Natur. Aus seinen Analysen zieht er die Setzung einer ersten scharfen Benchmark für die Nachhaltigkeit, der »Sustainability Zeroline«, und liefert damit einen Impuls, Zukunftsfähigkeit konsequent neu und lebensdienlich zu denken.

J. Daniel Dahm
Benchmark Nachhaltigkeit: Sustainability Zeroline
Das Maß für eine zukunftsfähige Ökonomie

»Dahms Buch ist ausgesprochen anregend und originell.«

Harald Welzer, FUTURZWEI, 10 (2019)

»Das Buch ist für all jene, die […] Anregungen für eine präzisere Fassung des Begriffs der Nachhaltigkeit suchen, ein Gewinn. Es gelingt dem Autor, komplexe Fragen und Herausforderungen zu entzerren und verständlich zu machen, ohne diese dabei zu banalisieren.«

Klaus Gabriel, https://cric-online.org, 8 (2019)

Wie haben sich nun die aktuellsten Ereignisse auf die Thesen und Ergebnisse der Arbeit ausgewirkt, was hat sich in der Zwischenzeit verändert, verdienen einige Aussagen Aktualisierungen im Bild von stärker werdenden Nachhaltigkeitsbewegungen, wie erst letztens den neu gestarteten Fridays-for-Future-Demos?

J. Daniel Dahm hat sich drei schnellen Fragen hierzu gestellt:

Ist die Notwendigkeit einer Benchmark für Nachhaltigkeit durch die Krisensituation und ihre ökologischen Auswirkungen der letzten Monate Ihrer Meinung nach stärker ins Bewusstsein gerückt?

Einerseits hat die Corona-Krise die Aufmerksamkeit für andere, wichtige Themen sehr in den Hintergrund gedrängt. Andererseits ist der offenkundige Zynismus, der sich aus den extremen öffentlichen und politischen Reaktionen auf Covid ergibt, schwer zu übersehen. Denn während die Angst um unsere unmittelbare Gesundheit uns aktuell seit Monaten im Handeln lähmt, werden die millionenfachen Opfer von Hunger, Armut und Unterversorgung ignoriert, die wir weltweit seit Jahrzehnten jährlich in Kauf nehmen, um unsere ressourcen- und energieintensiven Lebensstile und Konsumgewohnheiten fortführen zu können. Jährlich sterben beispielsweise allein 6 Millionen Kinder an heilbaren Erkrankungen deshalb, weil sie schlicht keinen Zugang zu den richtigen Medikamenten haben und es an einer funktionierenden Gesundheitsinfrastruktur fehlt. Demgegenüber ist durch Covid nun für alle unmissverständlich deutlich, dass wir innerhalb kürzester Zeit unsere Gewohnheiten und Lebensstilansprüche ändern können, wenn wir nur wollen. Dass der Maßstab für Zukunftsfähigkeit in der Wirtschaft dem Prinzip und der Stärkung des Lebens dienen sollte, ist heute einfacher zu vermitteln als vorher. Das weniger krankmachend nicht als gesund gekennzeichnet werden kann, geht heute auch leichter in die Köpfe hinein. Und auch, dass die »systemrelevanten« Infrastrukturen unverzichtbar sind, und wir ohne funktionsfähige Lebensgrundlagen nicht auskommen können, ist vielen in den letzten Monaten nochmal deutlicher geworden – während der Großteil der Konsumgüterindustrie offenbar gut verzichtbar ist.


Hat sich seit der Veröffentlichung ein bemerkbarer Wandel im Handlungsdrang der Politik wahrnehmen lassen, u.a. durch die Popularität von Bewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion?

Fridays for Future hat für Politiker*innen eine Legitimation geliefert, das Klima- und Ökologiethema anders und schärfer zu debattieren. Zugleich wurde deutlich, wie aufgeladen mit Narrativen die Diskurse geführt werden, während die naturwissenschaftlichen Befunde im Diskurs übergangen, umgedeutet und relativiert werden. Seltsamerweise ist heute die Aussage, man müsse »alle Bürgerinnen und Bürger mitnehmen«, lauter als seit Langem. Dies überdeckt den faktischen, drängenden Bedarf nach sofortigem, tiefgreifendem Handeln in der Praxis und in unserem direkten Umgang mit Natur. Wir können nicht darauf warten, dass die Mehrheit der gesellschaftlichen Kräfte und Bewegungen mitgenommen werden können. Dazu wurde schon vier Jahrzehnte zu viel über Transformation geredet und zu wenig transformiert.


Inwiefern könnte sich eine Sensibilisierung für das Mensch-Natur-Verhältnis durch die Pandemie in der Zukunft auswirken?

Es ist sicherlich durch die Pandemie für die Mehrheit klar geworden, dass wir Menschen dynamische biologische Prozesse nicht gezielt kontrollieren können. Die Naturbeherrschung am Planeten und am Menschen selbst ist jetzt offenkundig auch für die letzten Machbarkeitsfanatiker*innen gescheitert. Wir können nur mit unserer Natur, eingebettet und getragen in das offene und dynamische Netz des Lebens, existieren. Das verlangt, sich den Prinzipien des Lebens zu unterwerfen und diese in aller Demut anzunehmen. Wir beherrschen offensichtlich nicht die Welt, sondern können nur durch und mit unserer Welt Zukunft lebensdienlich gestalten.