David Fopp / Isabelle Axelsson / Loukina Tille
Gemeinsam für die Zukunft – Fridays For Future und Scientists For Future ↗
Vom Stockholmer Schulstreik zur weltweiten Klimabewegung
»Die Welt erhitzt sich, hunderttausende verlieren jährlich ihr Obdach wegen der Fluten und der Dürre, wovon einige wenige profitieren. Die, die leiden, sind unsere Mitmenschen. Milliarden von Tieren verbrennen in den Waldbränden. Und es wird immer schlimmer werden. Wir machen nicht mehr mit. Diesen Schritt kann jeder Mensch machen. Er ist klein, aber hat so eine Wucht.«
David Fopp
Sie haben über 100 Freitage auf dem Stockholmer Münzplatz miterlebt und die Bewegung auch danach intensiv begleitet. Was waren für Sie die einprägsamsten Momente?
Die Stimmung der ersten Wochen, diese Ruhe, der Ernst; das war ein sehr besonderer Moment; dann der größte politische Streik der schwedischen Geschichte, und weltweit, im September 2019; aber auch die Vernetzung der Jugendlichen und Wissenschaftler_innen global, wie Schritt für Schritt die dazukommen, die in den Philippinen oder Brasilien leben. Das Treffen der 400 rebellischsten Jugendlichen in der Lausanner Uni; und so vieles mehr, vor allem aber die langen Gespräche mit all den europäischen und globalen Streikenden: alles ist ja für uns selbst immer unbekannt und offen. Die Bewegung entsteht erst, das Zusammenspiel mit der Wissenschaft muss geklärt werden, Strategien ausprobiert. Eine Gruppe von Menschen findet sich, die wirklich die Welt verändern will und sich an die Umsetzung macht.
Aber mit am eindrücklichsten ist die Stimmung der ersten vier Wochen – und immer noch schwierig für mich zu verstehen, was da passiert ist. Und was immer noch unser Leben und die Bewegung prägt. Es sind ja vier, fünf Jugendliche, die sich Greta sofort angeschlossen haben. Und die wiederkommen, jeden Freitag. Also das ist ja da noch unklar. Sie könnten ja auch nach zwei Wochen wieder in die Schule gehen. Sie sitzen da, auf ihren Yogamatten, an eine Mauer gelehnt. Sieben Stunden lang, den ganzen Schultag lang. Die Menschen spazieren an ihnen vorbei. Sie sitzen da. Fangen an, ihre Lebensgeschichte zu erzählen, zu diskutieren. Meistens ist es aber sehr still. Und gleichzeitig ahnt man ja hinter der Ruhe die enorme Wut und Trauer über die Zerstörung der Natur und der Lebensgrundlagen, die ihnen so bewusst ist. Und sie kommen jede Woche zurück. So bildet sich etwas, ganz langsam, was dann nach und nach Fridays For Future wird. Aber bis sich die Bewegung durchsetzt, wird es noch Monate dauern.
Man könnte in diesen Wochen denken: eigentlich ist nicht viel passiert. Fünf Jugendliche haben sich gefunden, die sich hingesetzt haben, still. Aber das hat alles verändert. Und jedes Mal, wenn sich auch heute eine neue Person anschließt, egal ob in Stockholm oder in einem Dorf in Uganda, in Sierra Leone, Brasilien, den Philippinen, Deutschland oder der Schweiz passiert ja das gleiche. Eine Art Verwandlung. Man sagt stopp. Ich mach nicht mehr mit. Die Welt erhitzt sich, hunderttausende verlieren jährlich ihr Obdach wegen der Fluten und der Dürre, wovon einige wenige profitieren. Die, die leiden, sind unsere Mitmenschen. Milliarden von Tieren verbrennen in den Waldbränden. Und es wird immer schlimmer werden. Wir machen nicht mehr mit. Diesen Schritt kann jeder Mensch machen. Er ist klein, aber hat so eine Wucht.
Im Buch kommen Isabelle Axelsson und Loukina Tille als zwei engagierte Aktivistinnen der globalen Klimabewegung zu Wort. Was haben Sie von ihnen gelernt?
Also jeder Mensch hat ja seine eigene Weise, zu einer Gesellschaftsveränderung beizutragen. Wie jemand zuhört, Platz einräumt, andere unterstützt, welche inhaltlichen Themen im Vordergrund stehen, welche biographischen Ereignisse eine Rolle spielen und so weiter. Da haben die beiden ja ihre ganz eigene Art entwickelt, die Welt zu verändern. Vor allem lerne ich die ganze Zeit davon, wie sie miteinander umgehen und so auch die Bewegung prägen – mit enormen Respekt und Humor; wie sie Gemeinschaft etablieren, gerade auch wenn sie verschiedene Ansichten haben, etwa zu Strategien und Inhalten.
Ganz konkret haben sie mir auch beigebracht, wie man sich organisiert. Sie können drei Stunden lang diskutieren, und dabei inhaltlich Wissen zur Krise vermitteln, verschiedene Aktionen abwägen, Wut und Trauer artikulieren – und gleichzeitig die konkreten Schritte für Aktionen planen und direkt umsetzen; noch während des Gesprächs. Deswegen sind sie auch zu wichtigen Pfeilern in der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung geworden. Das zeigt sich auch darin, wie sie das Bearbeiten der großen globalen Themen verbinden mit dem Mut, für das Nichtakzeptieren der Politik einzustehen, die Schule zu verlassen, auf der Bühne zu stehen und Reden zu halten. Sie getrauen sich aber auch, sich die Zeit zu nehmen und dem nachzuspüren, was sie wirklich bewegt und wie sie beitragen wollen. Geht es um den Schutz der Wälder, oder um das Stoppen der fossilen Industrie; und welche Art des Engagements passt, und so weiter. Diese Prozesse mitzuverfolgen, das war für mich ein wichtiger Prozess. Und nicht zuletzt: die beiden haben ja mit den führenden Politiker_innen gesprochen und waren als junge Frauen am WorldEconomicForum in Davos; und zu hören, wie sie dies erleben, was das auslöst, wie sie die Situation beschreiben und analysieren, und wie sie dies in die Bewegung hineingeben und auf Veränderung aus sind, war ein ganz zentraler Lernprozess für mich in den letzten beiden Jahren. Und wie sie die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft suchen, und auch über die Generationen hinweg eine weltweite Bewegung organisieren.
Wie kann Scientists for Future die Bewegung Fridays for Future unterstützen?
Scientists For Future hat sich ja zunächst aus einem Grund gebildet: um die Aussage der Jugendlichen zu bestätigen, ihre Kritik an der politischen Inaktivität und dem Diskurs der Politik – und mit einer fundierten Analyse zu kommen, worin die Krisen eigentlich bestehen und wie wir darauf reagieren können, interdisziplinär, über alle universitären Fächer hinweg.
Greta hat sich vor ein rot-grün regiertes Parlament gesetzt, weil die Politik insgesamt die Klimawissenschaft und das Pariser Abkommen nicht ernst nimmt, sondern ausweicht. Anstatt die Gesellschaft so umzubauen, dass die Emissionen jetzt wirklich zurückgehen, und dies in gerechter Weise, vertröstet man auf „netto-Null“-Ziele 2045 oder 2050 und sieht die Knappheit der Emissionsbudgets und die Dringlichkeit der Krisen nicht ein. Deswegen haben sich zehntausende Wissenschaftler_innen zusammengeschlossen und gesagt: das akzeptieren wir nicht. Das ist eine bewusste Irreführung der Bevölkerungen, die furchtbare Konsequenzen hat und haben kann, nicht zuletzt für die Kinder. Diese haben recht in ihrer Kritik. Es braucht einen Aufstand der Zivilgesellschaft, und nicht zuletzt eine Reaktion der Universitäten.
Wir können also gegen innen und gegen außen unterstützen. In die Bewegungen hinein liefern wir den neusten Stand der Forschung. Wir schreiben nicht vor, was die Jugendlichen zu denken und sagen haben; dafür habe ich mich vom ersten Tag eingesetzt. Wir schildern unsere Diskussionen und wir hören auf die Jugendlichen. Diese müssen selbst entscheiden, wofür sie stehen und wie sie es formulieren. Aber Szenarien können wir liefern. Dafür wäre die Universität da, als demokratische Institution, um allen deutlich zu machen: was sagt die Forschung zur Klimakrise und zur Biodiversitätskrise; was hat das für Konsequenzen für alle anderen Disziplinen, für die Ökonomie, Pädagogik, Politik; und umgekehrt, wie können wir die Grundeinsichten aller Fächer benutzen, um aus den Krisen herauszufinden? Das können wir erforschen, aufzeigen – und in ein kritisches Verhältnis zu dem setzen, was die Regierungen als Regeln etabliert haben und etablieren wollen. Und zwar so, dass die Bevölkerung den Ernst der Lage verstehen kann und sich selbst befähigt fühlt, zu intervenieren und ein anderes Regelwerk zu fordern.
Was muss politisch nun geschehen, um den Klimawandel zu bekämpfen? Und was können Fridays for Future und Scientists for Future dazu beitragen?
Es geht mir da um eine zentrale Einsicht, die ich im Buch und vor allem im Anhang genauer ausführe. Die riesige Gefahr ist jetzt, dass Politik, Wirtschaft und Wissenschaft hunderte von Policy-Vorschläge machen, von denen dann vielleicht einige umgesetzt werden, unter dem Deckmantel von »Klimaneutralität 2050«, aber niemand nimmt die Krise als Krise wirklich ernst, als Herausforderung, unsere Gesellschaften in kurzer Zeit so umzubauen, dass wir die planetaren Grenzen respektieren und die Grundbedürfnisse aller Menschen abdecken. Was wir brauchen, ist meiner Ansicht nach ein veränderter politischer Rahmen, der aus drei Pfeilern und zwei Prinzipien besteht. Als erstes sollten wir Emissionsbudgets aufstellen, global gerecht berechnet, für alle Länder und Städte; wenn wir diese (unfassbar kleinen) Budgets überschreiten, erwärmt sich die Erde zu stark. Von denen ausgehend brauchen wir dann einen Plan für die Sektoren wie Energie, Transport, Landwirtschaft, Finanz und so weiter, so dass die Emissionen jährlich wirklich zurückgehen, in reicheren Ländern etwa mit zehn Prozent. Zweitens müssen wir die fossilen Brennstoffe im Boden halten. Es ist nicht akzeptabel, wenn jetzt nach neuen Ölreserven in der Arktis gebohrt wird oder neue Kohlkraftwerke in Betrieb genommen. Da brauchen wir einen globalen Vertrag, der das gerecht regelt: wie die fossile Infrastruktur ab jetzt nicht mehr ausgebaut und finanziert, sondern zurückgefahren wird. Und drittens können wir ja nicht nur einfach alles zurückfahren, sondern müssen ein erneuerbares Energiesystem aufbauen und generell dafür sorgen, dass alle Mitmenschen die grundlegenden Ressourcen haben, die für ein würdiges Leben gebraucht werden. Dies sind die drei Pfeiler. Sie geben vor, was in dieser Gesellschaftsumwandlung geschehen muss; und weil diese in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren passieren muss, also abgeschlossen sein muss, werden zwei Werte oder Prinzipien wichtig: einmal Gerechtigkeit oder Fairness, »equity« wie es im Pariser Abkommen heißt, intergenerationell, historisch, in Bezug auf den globalen Norden/Süden und innerhalb von Gesellschaften. Und zweitens muss, was Demokratie ist, dabei vertieft und nicht ausgehöhlt werden: bestehende Strukturen und Relationen von Dominanz (Gender, Klasse, Ethnizität etc.) können wir gerade in dieser Transformation abbauen. Dieser neue Rahmen von drei Pfeilern und zwei Prinzipien könnte morgen etabliert werden, von allen Regierungen; und dann kann demokratisch ausformuliert werden, wie der Rahmen genau ausgefüllt wird; mit einem globalen Grundeinkommen oder anderen Lösungen. So haben wir ein globales Gesellschaftsprojekt für die nächsten Jahre, hinter das wir uns alle, »the people«, stellen können. Fridays For Future entwickelt sich in diese Richtung, hat aber nach wie vor vor allem die Funktion, die Stimme der jungen Generation zu sein, die als Notbremse auftritt. Die Scientists For Future können sich mit der weltweiten Klimagerechtigkeitsbewegung zusammenschließen, den wissenschaftlichen Rahmen skizzieren und so die Krise als Krise sichtbar machen – aber auch den neuen veränderten politischen Rahmen aufzeichnen und von den Regierungen einfordern; als globale Bewegung der Zivilgesellschaft, der sich alle Menschen jetzt anschließen können, auch mit Streiks und zivilem Ungehorsam, bis diese neuen Regeln verwirklicht sind.