Auszug aus dem Buch
Sebastian Haunss / Moritz Sommer (Hg.)
Fridays for Future – Die Jugend gegen den Klimawandel ↗
»Wer die weltweit größte und überraschendste
Jugendbewegung der Neuzeit, Fridays for Future,
begreifen will, muss dieses Buch lesen.«
Prof. Dr. Peter Hennicke
Die im Vergleich zu anderen Protestbewegungen noch immer recht kurze Geschichte von Fridays for Future ist trotz der bemerkenswerten Mobilisierung keine lineare Erfolgsgeschichte. Bereits im Herbst 2019, also vor der Coronapandemie und den damit einhergehenden Demonstrationsbeschränkungen, konnte FFF das im September erreichte Mobilisierungsniveau nicht aufrechterhalten. Am folgenden Globalen Aktionstag am 29. November beteiligten sich deutlich weniger Menschen und auch bei den Aktivist_innen in den Ortsgruppen waren Erschöpfungserscheinungen nicht länger zu übersehen. Wie Dieter Rucht und Dieter Rink im vierten Kapitel beschreiben, setzten einzelne Gruppen den wöchentlichen Protestrhythmus auf monatliche Proteste herab. Die bereits ein Jahr andauernde Mobilisierung zehrte an den Kräften der Aktivist_innen. Der für den 24. April 2020 geplante Aktionstag hätte gezeigt, ob die Beteiligung weiter abgenommen hätte, sich auf dem noch immer hohen Niveau vom November stabilisiert hätte oder sogar wieder angestiegen wäre. Die Coronapandemie machte allerdings den Großdemonstrationen auf der Straße einen Strich durch die Rechnung.
Die Reaktion von FFF kam schnell und war ausgesprochen interessant: Der Protest wurde nicht abgesagt, sondern mit einer Doppelstrategie abgewandelt, die auf Onlineproteste auf der einen und indirekte physische Präsenz auf der anderen Seite setzte. Der Versuch, die Proteste von der Straße ins Internet zu verlagern, war naheliegend. Dabei ging Fridays for Future über die aus anderen Protestkampagnen bekannte Form des Onlineprotests hinaus, bei der durch prominent platzierte Banner das Internet quasi als virtuelles Transparent genutzt wird (Breindl/Briatte 2013). Stattdessen gab es eine auf Youtube und anderen Plattformen gestreamte, an die Bundesligaberichterstattung im Radio erinnernde Liveschaltung, in der FFF-Aktivist_innen aus verschiedenen Städten in kurzen, zuvor aufgezeichneten oder live übertragenen Beiträgen ihren Protest kundtaten (Fridays for Future Deutschland 2020). Begleitet wurde dieser Onlineprotest, der sich vor allem an den Kern der Aktivist_innen richtete, von mehreren deutlich breiter sichtbaren Protestaktionen; auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude in Berlin und in anderen Städten wurden Tausende der inzwischen ikonischen Pappschilder mit den Forderungen der Bewegung abgelegt. Diese Kombination aus Online- und physischem Protest stellte eine Innovation im Protestrepertoire sozialer Bewegungen dar und unterstrich erneut die Flexibilität und Kreativität der Aktivist_innen.
Andere Versuche, den Protest auch unter Coronabedingungen aufrechtzuerhalten, wie der Aufruf, Plakate und Poster mit Forderungen zum Klimaschutz in Fenster und an Balkone zu hängen, fanden jedoch kaum Widerhall in den Medien und waren wohl in erster Linie als Motivationsschub für die eigenen Anhänger_innen gedacht.
Die Proteste von Fridays for Future gehen somit auch unter den schwierigen Bedingungen der Coronapandemie weiter. Diese kreative Anpassung des Protestrepertoires kann allerdings nicht überdecken, dass die Pandemie auch für Fridays for Future existenzbedrohend ist und die bis dato größte Herausforderung darstellt – und das in nahezu allen Bereichen, die in diesem Buch beleuchtet wurden.
Die Onlineproteste können helfen, Zeit zu überbrücken, an die Relevanz des Klimawandels auch in der Coronakrise zu erinnern und die Aktivist_innen »bei der Stange« zu halten, aber sie entfalten bei Weitem nicht die gleiche Wirkung wie die Massenproteste auf der Straße. Dazu fehlt ihnen das unmittelbare Disruptionspotenzial ebenso wie die Reichweite, die sich in erster Linie auf die eigene »Filterblase« erstreckt. Mit der Absage der Schulstreiks als identitätsstiftendem Anker der Bewegung fehlen gemeinsame Erfahrungen und geteilte Emotionalität. Die Aktivistin Line Niedeggen resümiert in der taz: »Wir wollen zeigen, dass wir immer noch da sind […]. Aber klar war der Protest auf der Straße mitreißender. Das Gefühl, als Gemeinschaft etwas zu bewegen, stellt sich online nur zögerlich ein« (Weise 2020).
Dazu kommt der schwierige Umgang mit der »Krisenkonkurrenz« und dem deutlich gesunkenen Medieninteresse: Die Pandemie hat das Thema Klimawandel auf absehbare Zeit von der Spitze der Aufmerksamkeit verdrängt. Und es ist keineswegs sicher, dass FFF im (vermeintlichen) Spannungsfeld von wirtschaftlichem Wiederaufbau und Klimaschutz eine ähnlich breite gesellschaftliche und mediale Sympathie erfährt wie noch vor dem Ausbruch der Pandemie.
Und dennoch gilt auch für FFF das alte Diktum der Krise als Chance, was sich nicht allein auf die oben skizzierten Innovationen im Protestrepertoire beschränkt. Der Coronastillstand bietet die Möglichkeit, den bereits im Winter 2019/20 sichtbaren Findungsprozess der Bewegung zu intensivieren und ohne die Last der aufwendigen Mobilisierungsarbeit inhaltliche und strategische Diskussionen zu führen. Von Vorteil ist, dass FFF schon immer über eine stark vernetzte Kommunikations- und Organisationsstruktur verfügte, die im Gegensatz zu der anderer zivilgesellschaftlicher Akteure, die mit dem Gebot der physischen Distanz zu kämpfen haben, keiner wesentlichen Umstellung bedarf (siehe Döninghaus u. a., Kapitel 7).
Und auch für die zentrale Frage des Framings bietet die Coronakrise wichtige Anknüpfungspunkte: Erstens hat diese gezeigt, dass die Politik in Krisensituationen schnell und entschlossen handeln kann. Luisa Neubauer, eine der zentralen Stimmen von Fridays for Future in Deutschland, griff das am 16. März 2020 in einem Fernsehinterview in der Nachrichtensendung »heute« auf: »Wir wissen, dass politischer Wille, wenn er denn da ist, Berge versetzen kann. Das erfahren wir in der Coronakrise gerade hautnah. Was dieser Tage politisch abgeht, entblößt am Ende des Tages auch die Verweigerungshaltung der Bundesregierung, die Klimawissenschaft ernst zu nehmen und das Pariser Abkommen einzuhalten« (Hofmann 2020). Dazu kommt, zweitens, der deutlich sichtbare Bedeutungsgewinn wissenschaftlicher Expert_innen in der Öffentlichkeit und in der Politik, der den Forderungen der FFF-Bewegung nach einem stärkeren politischen Einfluss (klima-) wissenschaftlicher Expertise Nachdruck verleiht. Neubauer im selben Interview: »Ganz Deutschland hört dem Virologen Christian Drosten zu. Und das ist genau richtig.« Drittens beobachten wir eine Fortsetzung des Generationenkonflikts, nur in vertauschten Rollen: Während in der Klimakrise die ältere Generation von den aufgrund der längeren Lebenserwartung deutlich stärker betroffenen »Jungen« in die Pflicht genommen wird, dreht sich das Verhältnis in der Coronakrise um. Hier wird gerade von der weniger gefährdeten jungen Generation Solidarität gefordert – ironischerweise unter anderem durch die physische Abstinenz vom Schulunterricht.
[…]
Die während der Pandemie gezeigte Anpassungsfähigkeit der Bewegung, gepaart mit der hohen Motivation und Politisierung der Aktivist_innen und der Tatsache, dass die durch den Klimawandel verursachten Probleme nicht verschwinden werden, legt die Vermutung nahe, dass die Geschichte von Fridays for Future noch nicht am Ende ist und die Bewegung auch nach der Coronakrise wieder Massendemonstrationen auf die Straße bringen wird. […] Eine langfristige Folge von FFF sollte noch erwähnt werden: Unabhängig davon, ob und wie es der Bewegung gelingen wird, die Politik zu beeinflussen, organisatorische Herausforderungen zu meistern und in der Postcoronazeit wieder an die vergangenen Mobilisierungserfolge anzuschließen, wird Fridays for Future die Lebensverläufe der Aktivist_innen nachhaltig prägen. Biografische Studien zeigen ebenso wie Demonstrationsbefragungen, dass früheres Engagement einer der wichtigsten Indikatoren für zukünftiges Engagement ist. Selten bleibt es beim einmaligen Protest. Menschen, die sich früh politisieren und aktiv werden, setzen ihr Engagement häufig fort (Giugni 2004: 494). Dabei können sich die Inhalte und Formen des Engagements ändern, aber es ist wahrscheinlich, dass die bei Fridays for Future engagierten Jugendlichen auch später überdurchschnittlich politisch aktiv sein werden. So werden sie weiter ihre Spuren hinterlassen – in der (Zivil-)Gesellschaft ebenso wie in der Politik.
Literatur und Quellen
Breindl, Yana/Briatte, François (2013): Digital Protest Skills and Online Activism against Copyright Reform in France and the European Union, in: Policy & Internet 5, H. 1, S. 27–55.
Fridays for Future Deutschland (2020): Stream statt Straße (24.04.2020), #FightEveryCrisis, www.youtube.com/watch?v=9EUVRPSWJsk.
Giugni, Marco (2004): Personal and Biographical Consequences, in: David A. Snow/Sarah Anne Soule/Hanspeter Kriesi (Hg.), The Blackwell Companion to Social Movements, Oxford: Blackwell, S. 489–507.
Hofmann, Kristina (2020): »Kein Mensch sieht Corona-Krise als Mehrwert«. Interview mit Luisa Neubauer, in: heute.de, www.zdf.de/uri/19295b18-ddbd-4bb6-8d1c-02caf8cdd02e.
Weise, Helena (2020): Fridays for Future streikt am 24. April: Von der Straße ins Netz. In: taz online vom 23. April 2020, https://taz.de/!5678155.