Der operative Fokus feministischer Außenpolitik sollte auf Gewaltprävention liegen. Dies verlangt den Abbau von globalen Ungerechtigkeiten, die ein Symptom tief verankerter Machtgefälle auf politischer, sozialer, rechtlicher und ökonomischer Ebene sind. Feministische Perspektiven umfassen völkerrechtlich-liberale wie auch postkoloniale Ansätze. Beide versuchen, Gewalt und Ungerechtigkeiten entgegenzuwirken. »Gewalt« bedeutet dabei nicht nur geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen. Vielmehr geht es um die gesellschaftlichen Machtungleichgewichte zwischen Geschlechtern, also um Geschlechterverhältnisse, auch definiert als Gender. Durch ein inklusives Geschlechterverständnis wird jegliche Form der Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck oder sexuellem Verhalten miteinbezogen.

BICC Bonn International Centre for Conflict Studies et al.

Friedensgutachten 2022
Friedensfähig in Kriegszeiten

»Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist der Krieg nach Europa zurückgekehrt, in unsere direkte Nachbarschaft – völkerrechtswidrig, brutal und bislang ohne Aussicht auf eine diplomatische Lösung. Das Friedensgutachten 2022 analysiert den Konflikt und seine globalen Folgen und gibt Empfehlungen, wie die deutsche Politik vorgehen sollte. Darüber hinaus blicken die mehr als 40 Expert*innen auf das weltweite Konfliktgeschehen und weitere relevante Themen der Friedens- und Sicherheitspolitik.«

Die Herausgeber*innen

Neben unmittelbar von Krieg betroffenen Staaten, in denen sich Ungerechtigkeiten nachweislich verstärken, sind ebenso Gesellschaften in Nachkriegs-, Transitions- und Friedensphasen von verschiedensten Gewaltformen gegen marginalisierte Gruppen geprägt. Ein Politikwechsel ist dringlicher denn je: Internationale Politik muss inklusiver gestaltet werden. Sie muss Standards entgegenwirken, die auf Überlegenheitsdenken, patriarchalischen Strukturen oder Normen der Heterosexualität basieren. In diesem
Sinne eröffnet eine feministische Außenpolitik, wie sie die Bundesregierung im neuen Koalitionsvertrag angekündigt hat, einen Weg hin zu einem friedenspolitischen Umdenken. Doch sie muss zwingend durch feministische Innenpolitik ergänzt werden, um ihr emanzipatorisches Potenzial zu verwirklichen und glaubhaft aufzutreten.

Geschlechtsspezifische Gewalt ist besonders verbreitet im Kontext bewaffneter Konflikte, doch setzt sich die Gefährdung häufig auch in Nachkriegsgesellschaften fort. Bei der Ahndung schwerster Verbrechen und der internationalen Normbildung hat die Strafgerichtsbarkeit eine wichtige Rolle eingenommen.

Sexualisierte Gewalt in Konflikten (Conflict-Related Sexual Violence, CRSV) ist die häufigste Form geschlechtsspezifischer Gewalt in bewaffneten Konflikten. Sie umfasst unter anderem Verbrechen wie Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei und Zwangsheirat. In den letzten 20 Jahren hat die internationale Gemeinschaft einen Rahmen zu CRSV entwickelt, der auch ihre Verfolgung als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorsieht. Dennoch nimmt die Zahl der gemeldeten Fälle nicht ab. Allein im Jahr 2020 wurden Vorfälle in 18 Ländern festgestellt, darunter die Region Tigray in Äthiopien, Kamerun, Afghanistan, Myanmar, Syrien und Jemen (→ UNSC 2021). Die meisten von Gewalt und Tod Betroffenen sind weiblich, aber auch männliche Überlebende brechen zunehmend ihr Schweigen. So wurde beispielsweise aus Afghanistan, der Zentralafrikanischen Republik, der Demokratischen Republik Kongo und dem Südsudan über CRSV gegen Männer und Jungen berichtet (→ UNSC 2021). Menschen, die sich als LGBTQI* identifizieren, wurden auch in Kolumbien, Syrien und Myanmar angegriffen (→ UN 2020).

In der Nachkriegszeit werden meist die Interessen (männlicher) militärischer und politischer Eliten priorisiert und ihre Position so weiter gestärkt, während die Interessen und Bedürfnisse von Frauen und LGBTQI*-Minderheiten kaum Beachtung finden. Auch nach 20 Jahren »Frauen, Frieden und Sicherheit« (Women, Peace and Security, WPS)-Agenda auf VN-Ebene sind Frauen und LGBTQI*-Personen immer noch massiv unterrepräsentiert – zuletzt in Afghanistan, wo nur 10 % der Unterhändler*innen Frauen waren (→ CfR 2020). Friedensabkommen sind nach wie vor nicht gendersensibel. Eine wichtige Ausnahme stellte das Friedensabkommen in Kolumbien 2016 dar, dessen gen- dersensible Formulierungen und Rechte für Frauen und LGBTQI*-Personen allerdings nach massivem Widerstand konservativer und religiöser Kreise stark abgeschwächt oder gestrichen wurden.

Nach Kriegsende droht oft die Rückkehr zum ungerechten Vorkriegs-Status Quo inklusive geschlechterstereotyper Rollenbilder. Es ist umso problematischer, dass international gefördertes Peacebuilding nach wie vor oft gender-blind ist: Zwar gibt es am Rande Maßnahmen wie Frauen-Empowerment und Gender Mainstreaming, doch bleibt das Thema unterfinanziert und eher den Gender-Expert*innen innerhalb von Organisationen vorbehalten. Zudem wird verkannt, dass die Veränderung von Geschlechterbeziehungen kein »technisches«, sondern ein zutiefst politisches Projekt ist.


Empfehlungen

Feministische Außenpolitik muss geschlechtergerechten Frieden zum Ziel haben
Sicherheits- und Friedenspolitik muss diverser und inklusiver werden und Geschlechterperspektiven aufnehmen. Dazu gehört, »militarisierte Männlichkeiten« zu delegitimieren und Alternativen aufzuzeigen.

Feministische Konfliktanalyse ist nötiger denn je
Eine Analyse von Konfliktursachen muss die Wirkung von Machtverhältnissen berücksichtigen, die auf hierarchischen Geschlechterordnungen beruhen. Ansonsten greift sie zu kurz.

Friedensverhandlungen und Transitional Justice geschlechtergerecht ausrichten
Eine geschlechtergerechte Friedenskonsolidierung darf sich nicht auf die Verfolgung sexualisierter Gewalt durch Kombattant*innen beschränken, sondern muss ein breites Spektrum an Menschenrechtsverletzungen aufnehmen.

Frauen und LGBTQI*-Zivilgesellschaft in Entschei­dungsprozesse einbeziehen
Entscheidungsprozesse in der Sicherheits-, Friedens- und Entwicklungspolitik müssen auf die Stimmen von Frauen und LGBTQI-Personen hören.

Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe gestalten
Für die internationale Kooperation zwischen dem Globalen Norden und Süden sind Narrative nötig, die paternalistische Geber-Nehmer-Stereotypen und Rassismen überwinden.