Corona: Stresstest für die Gesellschaft

Anna Henkel

Globale Veränderung des Klimas, die Verschmutzung der Ozeane oder eine Pandemiegefahr sind wenig handlungsauslösend. Mit Corona wird ein derart Fernes zu einer sich plötzlich massiv aufdrängenden Gefährdung: Menschen sterben, hier und jetzt – und das global. Corona lässt sich daher aus der Perspektive einer materialitätstheoretisch erweiterten Systemtheorie als Stresstest für die Gesellschaft betrachten.

Im Raum des Virus: Affekt und Widerständigkeit in der Pandemie

Christine Hentschel

Wie erfindet sich politische Öffentlichkeit neu in einem Regime, das uns einander vom Leib halten will? Wie lassen sich die Proteste gegen die Coronamaßnahmen als Akte des physischen und affektiven Präsentwerdens im öffentlichen Raum verstehen?

Corona, Klima und weiße Suprematie – Multiple Krisen oder eine?

Eleonora Rohland

Klimakrise, COVID-19 Pandemie und systemischer Rassismus – das sind die
drei Krisen, die sich in den letzten Wochen und Monaten überlagert haben und alle Gesellschaften rund um den Globus mit unterschiedlichem Gewicht treffen. Dass das kein Zufall ist, zeigt die Einbettung in den Kontext des Anthropozäns und ein tiefer Blick in dessen Vorgeschichte.

Zuhause Arbeiten. Eine geschlechtersoziologische Betrachtung des ›Home Office‹ im Kontext der Corona-Krise

Sarah Speck

Das Zuhause – bislang der Ort der anderen Arbeit, die tagtäglich geleistet werden muss – wurde für viele krisenbedingt zum Home Office. Die damit verbundene Erfordernis der »Neuordnung des Privaten« hat ihre Tücken: Erwerbsarbeit und Care-Arbeit erweisen sich als unvereinbar, die Aufwände im ständig bewohnten Haushalt steigen an. Die Last tragen zumeist die Frauen. Die Corona-Krise wird, so ist zu vermuten, die Formen der Arbeitskraftnutzung dauerhaft verändern.

Corona und die Verdichtung der Kasernierung alter Menschen

Frank Schulz-Nieswandt

Die pauschale Stigmatisierung der Schutzbedürftigkeit der vulnerablen Gruppe der »Alten« kappt die gerade erst im Wachstum befindliche Sozialraumöffnung der Heime. Eine Transformation der Wohnformen im Alter und die Berücksichtigung des Willens der Betroffenen hätten einen anderen Umgang ermöglicht als die klinischen Praktiken des sozialen Todes und die Verdichtung der Kasernierung.

Zivilgesellschaft in der Verantwortung. Drei Spannungsfelder von Solidarität in der Krise

Cornelia Springer

Während bestehende zivilgesellschaftliche Engagements durch die Corona-Krise und den Rückzug ins Digitale an Reichweite verloren haben, hat die Pandemie auch neue Formen wie kontaktlose Nachbarschaftshilfe, ehrenamtliche Online-Nachhilfe oder digitales Quarantainment hervorgebracht. Doch auch Egoismen und antisoziales Verhalten in ungekanntem Ausmaß werden im kollektiven Gedächtnis erinnert werden. Nicht zuletzt mahnen die vorher undenkbaren Allianzen auf Corona-Protesten, dass die politische und gesellschaftliche Verantwortung der*s Einzelnen über die Verteidigung der eigenen Interessen und Freiheiten hinausreicht.

Fragile Ernährungskulturen im Spiegel der Corona-Pandemie

Lars Winterberg

Fleisch – einst Symbol für Fortschritt – gilt heute als ungesund und gefahrvoll. Man fürchtet Tierleid und Umweltzerstörung, »Antibiotika-« und »Gammelfleisch«. Doch der Hunger auf Fleisch begründet keine »Ursünde«, welche uns Seuchen wie Covid-19 beschert. Die Pandemie führt uns allerdings vor Augen, was historisch der Normalfall war: Mangel, existenzielle Risiken und Vulnerabilitäten. Es gilt, die Nebenfolgen unseres (post-)modernen Lebens zu bedenken sowie Nachhaltigkeit und Resilienz als zentrale Fluchtpunkte gesellschaftlichen Handelns zu etablieren.

Endstation Solidarität? Sprachliche Einwürfe zum gesellschaftlichen Zusammenhalt zwischen »Systemrelevanz« und Kriegszustand

Simon Scharf

Wenn Solidarität in der Corona-Krise mehr als eine Worthülse sein soll, gilt es Begriffe wie Systemrelevanz und Heldentum kritisch zu betrachten. Wenn man sich nicht mehr darüber im Klaren ist, dass eine verflochtene Gesellschaft die Systemrelevanz aller konstitutiv voraussetzt, kann man den Begriff auch so weit aushöhlen, dass er lediglich abgrenzende und kompetitive Grenzlinien zwischen wichtigen und nicht-wichtigen Berufsgruppen einzieht. Über neue Formen des solidarischen Sprechens nachzudenken, bedeutet für die Zukunft vor allem, den Einzelnen politisch als mündig-kooperative(n) Bürger*in zu adressieren und ihn bzw. sie nicht mit einfachen Polaritäten und kriegerisch simplifizierender Rhetorik abzuspeisen, sondern Komplexität und Unsicherheit zuzumuten – jenseits von Angst und Strategie.