Mitten in der Hauptstadt, im umgebauten Berliner Schloss, eröffnete am 16.12.2020 das neue Humboldt-Forum – zwar nicht seine Türen, aber mit einer digitalen Veranstaltung.
Diese neuartige Institution versteht sich nicht im klassischen Sinne als ein Museum, sondern als ein Ort, an dem Kultur und Wissenschaft zusammenfinden und ein öffentlicher Austausch stattfinden soll. Das bedeutet eine völlig neue Art eines Museums, das nicht nur von seinen Exponaten lebt, sondern durch Veranstaltungen und Medieninstallationen auf der Höhe der Zeit ankommen möchte. Geschichte soll demnach von den Besucher*innen »erlebt« werden.
Dies klingt erst einmal nach einer schönen Idee, allerdings entbrannte im Zuge dieser Eröffnung erneut die Debatte um die Herkunft vieler Ausstellungsstücke. Denn insbesondere Kunstobjekte aus Afrika sind eng verflochten mit unserer grausamen kolonialen Vergangenheit des 19./20. Jahrhunderts, sodass die Beschaffungsweise nicht mit unseren heutigen demokratischen Normen in Einklang zu bringen sind.

In der 6. Folge seiner nun im Hauptprogramm ausgestrahlten Sendung »Magazine Royale« widmete sich der Satiriker Jan Böhmermann am 11. Dezember 2020 dieser Debatte und lud zur Unterstützung die Kunsthistorikerin und Expertin für Raubkunst Prof. Dr. Bénédicte Savoy ein. Savoy selbst war sogar Mitglied des Expertenbeirats des Humboldt-Forums. Aufgrund der intransparenten Haltung bezüglich der Herkunft der auszustellenden Exponate trat sie jedoch aus diesem Gremium aus. Ihr Plädoyer: Die Herkunft der Objekte sind genauer zu erforschen, mit diesen Ergebnissen ist transparenter umzugehen und die eigene Geschichte ist kritischer zu reflektieren.

Sehen Sie hier ↗ (ZDF Mediathek) das Interview in voller Länge.

Prof. Dr. Bénédicte Savoy lehrt Kunstgeschichte der Moderne an der FU Berlin. 2016 erhielt sie den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft für hervorragende wissenschaftliche Leistungen in der Kunstgeschichte. Außerdem ist sie Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Zusammen mit Prof. Felwine Sarr legte sie dem französischen Präsident Emmanuel Macron einen Bericht mit Vorschlägen zur Rückgabe afrikanischer Kulturgüter aus französischen Museen vor.

Erscheint im Sommer 2021:

Bénédicte Savoy / Felicity Bodenstein / Merten Lagatz (eds.)

Translocations

Histories of Dislocated Cultural Assets

Who owns cultural assets? Who has narrative control? What could fair and just approaches to dislocations of cultural assets look like, independently of restitution?
Discussions about historical appropriation practices for cultural assets in the context of their associated relocation are highly topical and widely reflected across different academic disciplines. Such questions increasingly concern those who work in the art market, museums, politics and the media, scholars from diverse disciplines, as well as artists and writers. This volume examines the translocations as such, which rarely come into focus. The contributions address the people involved, the related traumas, discourses, gestures, techniques, and representations.

Weitere Titel unseres Programms widmen sich der Museumspraxis und wie sich diese Institution in Zukunft verändern könnte:

Anna Greve

Koloniales Erbe in Museen

Kritische Weißseinsforschung in der praktischen Museumsarbeit

Praktische Museumsarbeit mit Mitteln der Kritischen Weißseinsforschung: Wie geht man mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten um? Welche Erinnerungspolitik soll vertreten und wie kann struktureller Rassismus abgebaut werden?

»Ambitionierte Ratschläge und Denkanstöße für eine multiperspektivische, postkoloniale Museumsarbeit.«

Jörn Brinkhus, Bremisches Jahrbuch, 99 (2020)

Ljiljana Radonic / Heidemarie Uhl (Hg.)

Das umkämpfte Museum

Zeitgeschichte ausstellen zwischen Dekonstruktion und Sinnstiftung

Zeitgeschichtliche Museen boomen. Die Brisanz der Auseinandersetzung mit Geschichte im Museum zeigt sich in den vielfältigen, zum Teil widersprüchlichen Anforderungen, mit denen sich die Institutionen konfrontiert sehen. Zeitgeschichtemuseen verstehen sich als Ort der Kritik am Festschreiben nationaler Identitäten und Geschichtserzählungen. Zugleich sollen sie das gesellschaftliche Wertesystem vermitteln – gerade in Zeiten der Demokratiegefährdung vor dem Hintergrund der vielerorts beobachteten Renaissance der Nationalismen.

Johanna Di Blasi

Das Humboldt Lab

Museumsexperimente zwischen postkolonialer Revision und szenografischer Wende

Das Humboldt Lab Dahlem (2012-2015) gilt als die »Probebühne« des Berliner Humboldt Forums. Transdisziplinäre Teams entwickelten hier innovative Präsentations- und Vermittlungsmodelle für ethnografische Sammlungen. Zeitgleich begann ein großer Szenografie-Dienstleister mit der Gestaltung der Museumsflächen nach dem Muster erlebnisorientierter Themenparks. Daraus erwachsen Fragen zur mehrdeutigen Rolle des Lab im Gestaltungsprozess des Humboldt Forums und der Einbeziehung zeitgenössischer Künstler als »Agents of Change«. Johanna Di Blasi beleuchtet Folgen der wenig beachteten Tatsache, dass kolonial geprägte Museen und ihre wissenschaftlichen Kuratoren von zwei Seiten unter Druck geraten sind: durch die Notwendigkeit postkolonialer Revisionen und durch den Machtzuwachs der Szenografie- und Marketingdomäne.

Eva Knopf / Sophie Lembcke / Mara Recklies (Hg.)

Archive dekolonialisieren

Mediale und epistemische Transformationen in Kunst, Design und Film

Weltweit versuchen Künstler*innen, Designer*innen, Kurator*innen, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen koloniale Archive, Sammlungen und Wissensbestände aufzuarbeiten, aufzulösen, zu rekontextualisieren und zu dekolonialisieren. Sie leisten damit einen epistemischen Ungehorsam, dessen Widerstand im Aufzeigen alternativer Umgangsweisen mit Dingen und dem Entwickeln von widerspenstigen Narrativen für Gegenwart und Zukunft besteht.

Dieser Band bündelt theoretische Aufsätze, Interviews und experimentelle Essays, welche die Herausforderungen, Ziele und Potentiale antikolonialer Kulturarbeit aufzeigen.

Michael Kraus / Karoline Noack (Hg.)

Quo vadis, Völkerkundemuseum?

Aktuelle Debatten zu ethnologischen Sammlungen in Museen und Universitäten

Die ethnologische Museumslandschaft ist in Bewegung – mehr denn je. Dieser Band vermittelt wegweisende Konzepte und zentrale Inhalte der aktuellen Debatten um das ethnologische Museum.

»Der Einblick in experimentelle Anordnungen, über die sowohl die eigene Reflexion angeregt als auch das Andere ernst genommen wird, gepaart mit fundiertem theoretischem und ethnografischem Wissen ist mehr als ermutigend für ethnologische Museen.«

Anna Schmid, Anthropos, 111/2 (2016)