Marketing ist das Werkzeug, um die Freude, die man an seiner eigenen Arbeit hat, mit anderen zu teilen. Mit viel Quälerei, Disziplin und den richtigen Informationen kann man vielleicht eine Steuererklärung korrekt abfassen. Beim Marketing geht es darum, Begeisterung zu wecken, Fans und Unterstützer*innen zu gewinnen; dazu muss man auch die eigenen Emotionen und die eigene Persönlichkeit »hineinwerfen«. Es braucht nicht nur Glaubwürdigkeit auf der Bühne, auf der Leinwand oder beim Auftritt, sondern auch eine authentische Art, darüber zu sprechen. Etwas verkaufen – das klingt immer gefährlich nach Entfremdung, vielleicht sogar nach Verrat; aber wunderbarerweise ist nichts so überzeugend wie das Echte. Und wenn man es richtig anstellt, kommt beim Marketing mitnichten das Genormte und Stromlinienförmige heraus. Im Gegenteil: Es wird zum Mittel, mit dem ihr eure künstlerische Individualität überlebensfähig macht, behauptet und durchsetzt.
Wie überlebe ich als Künstler*in? ↗
Eine Werkzeugkiste für alle, die sich selbst vermarkten wollen
»Das Buch zeigt, dass Künstler*innen die entscheidende Voraussetzung für erfolgreiches Marketing bereits mitbringen: ihre Phantasie und Kreativität. Entgegen verbreiteten Vorurteilen kann das Werben für die eigene Kunst sogar Spaß machen. Viele Künstler denken, dass man sich beim Marketing verbiegen muss, aber das Gegenteil ist wahr: Je authentischer, desto wirkungsvoller.«
Ina Roß
Ich selbst habe fast mein ganzes berufliches Leben mit Marketing verbracht, und ich hätte das bestimmt nicht getan, wenn es nicht wirklich interessant und spannend wäre. Nach meiner Zeit als Dozentin an der Schauspielschule »Ernst Busch«, von der gerade die Rede war, habe ich fünf Jahre mit Studierenden der National School of Drama in Neu-Delhi die Vermarktung ihrer Stücke geübt. Meine jungen indischen Theaterproduzent*innen waren ideenreich und hochkreativ beim Thema Werbung, denn sie müssen sich auf einem hart umkämpften, ressourcenarmen Markt behaupten. Da habe ich selbst noch einmal viel über kreative Improvisation (in Indien gibt es dafür sogar einen eigenen Begriff: »Jugaad«) und Flexibilität gelernt – und darüber, wie man die eigene Spielfreude für das Marketing nutzbar machen kann. Alles Qualitäten, mit denen wir uns in diesem Buch beschäftigen werden; hier und da lasse ich auch ein paar Beispiele aus meinen indischen Erlebnissen einfließen.
Seit meiner Rückkehr lehre ich nun auch viel an Kunsthochschulen und begleite Bildende Künstler*innen auf ihrem Weg in den Beruf. »Das schaffst du« ist dabei genauso ein Schlüsselsatz wie: »Das wird dir Spaß machen«. Aber ihr werdet in diesem Buch auch eine Menge nüchterner, sachlicher Tipps dazu bekommen, wie man effektiv vorgeht, welche Techniken nützlich sind – oder was eher Unsinn ist. Auch gibt es, in diesen herausfordernden Zeiten besonders wichtig, ein ausführliches Kapitel über Finanzierung mit vielen konkreten, praktischen Hinweisen. Doch wie gut alle diese Techniken und Kniffe auch immer sind und wie sicher man sie auch beherrscht, Motivation und Freude bleiben wesentliche Bestandteile des Erfolgs.
Eins solltet ihr euch vorab klarmachen: Ihr habt als Künstler*innen einen riesigen Vorteil auf diesem euch scheinbar komplett unvertrauten Terrain. Ihr seid nämlich von Hause aus gewohnt, kreativ zu sein. Gerade diese Qualität wird von vielen Agenturen händeringend gesucht. Marketing hat strategische und handwerkliche Seiten, aber richtig gut wird es nur durch die Originalität, das Außergewöhnliche, die Fähigkeit, außerhalb von Schubladenkategorien zu denken. Und genau dafür seid ihr als Künstler*innen Spezialist*innen.
Für Künstler*innen sind heute gute Zeiten, um Marketing selbst erfolgreich in die Hand zu nehmen. In der Gesellschaft ändert sich gerade viel, und zwar so, dass ihr davon stark profitieren könnt: Das Expertentum, das Monopol von Meinungsmachern, die Exklusivität von Mäzenen und Förder*innen, überhaupt das übermäßig Formalisierte – das alles bricht auf. Zugunsten pluralistischer, barrierefreier Zugänge, zugunsten von Vielfalt. Das birgt ungeheure Chancen für Kreative. Durch die heutigen direkten Kommunikationskanäle der Social Media ist es leichter als früher, ein Thema zu setzen und sich bekannt zu machen. Man muss nicht mehr warten, bis Journalist*innen einen entdeckt haben und es angebracht finden, die Leser*innen darüber zu informieren. Man kann das heute selbst. Es gibt nicht mehr den Weg, es gibt euren Weg.
Ich habe dem Buch den Untertitel »Werkzeugkiste« gegeben. Denn das hier ist nicht die Bibel, und ich will euch auf nichts einschwören. Ich zeige nicht den einen »Weg zum Erfolg«, sondern beschreibe verschiedene Pfade und Möglichkeiten, wie ihr vorgehen und wie ihr gemäß euren persönlichen Stärken agieren könnt. Das Buch ist tatsächlich eine Art Werkzeugkiste, aus der ihr euch etwas herausnehmen, in die ihr aber auch jederzeit etwas hineinlegen könnt: eure eigenen Erfahrungen, die ihr nach und nach sammeln werdet. So wird jeder am Ende seine individuelle Werkzeugkiste besitzen.