Als der Schauspieler Will Smith im Rahmen der Oscarverleihung am 27. März 2022 den Comedian Chris Rock ohrfeigte, weil dieser einen geschmacklosen Witz über die Kahlköpfigkeit von Smiths an Alopezie leidender Ehefrau Jada Pinkett Smith gemacht hatte, dürfte die*der durchschnittliche Zuschauer*in kaum an den von Russland entfachten Angriffskrieg gegen die Ukraine gedacht haben. Das hielt den über 100’000 Follower starken Twitteraccount der »Ukrainian Memes Forces« jedoch nicht davon ab, weniger als 24 Stunden nach dem Eklat in Hollywood ein meme zu posten, in dem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj – in die Smith-Position einmontiert – den russischen Präsidenten Wladimir Putin ohrfeigt. Dass der Spaß durchaus ernstgemeint ist, signalisiert dabei der ›pinned tweet‹ des Accounts, also der zuoberst ›angepinnte‹ und jeweils als Erstes sichtbare Tweet, in dem man in Text- und meme-Form aufgefordert wird, der ukrainischen Armee Geld zu spenden (ein hilfreicher Link zur entsprechenden IBAN-Nummer steht direkt im Tweet).
Memes sind bekanntlich zumeist humoristisch angelegte Bild-, Ton-, Text- oder Videobeiträge, die sich im Netz ›viral‹ verbreiten und im Zuge dieses Verbreitungsprozesses vielfältige Modifikationen erfahren. Die Beobachtung, dass solche vermeintlich trivialen Artefakte seit einigen Jahren zunehmend auch in unerwarteten Kontexten auftauchen, in der Werbung, auf ›offiziellen‹ Kommunikationskanälen, in Wahlkämpfen, im Feuilleton – und nun eben auch im Diskurs über einen Krieg – stand am Ausgangspunkt unserer Arbeit am Buch Memes. Formen und Folgen eines Internetphänomens. Einer unserer Befunde lautet, dass memes nicht in Opposition zu einer wie auch immer gearteten Offline-Normalität produziert und rezipiert werden, sondern den Mainstream stets auch fratzenhaft widerspiegeln. Insofern kann es höchstens auf den ersten Blick überraschen, dass auch gravierende soziale, politische und ökonomische Entwicklungen in meme-Form aufbereitet, gedeutet und reflektiert werden.
»Vernetzung heißt Verstörung«, postulierte der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen im nunmehr fast prähistorisch erscheinenden Jahr 2018: Wir alle, oder zumindest die vernetzten Doomscroller*innen unter uns, erleben immer wieder jene gewaltförmige Erschütterung, die Pörksen als »Filter Clash« bezeichnet – das verunsichernde Aufeinanderprallen »unterschiedlichste[r] Varianten der Weltwahrnehmung in radikaler Unmittelbarkeit«. Und so scrollt man denn unter Umständen von einem Boulevardartikel über die Smith-Ohrfeige zur Pressefotografie eines im Ukrainekrieg verletzten Kindes hin zum wiederum aus dem Ohrfeigenbild abgeleiteten Selenskyj-meme: Vernetzung heißt Verstörung, indeed.
Die memetische Ausschlachtung begann im Fall des Ukrainekriegs noch vor dessen Ausbruch zu greifen. Schon im November 2021 geisterten Bilder russischer Panzer durch die sozialen Medien, deren Geschütztürme mit improvisiert wirkenden Lamellenkonstruktionen verstärkt waren. Experten spekulierten, dass die Soldaten durch solche Aufbauten die Zielsysteme moderner Antipanzerwaffen zu verwirren hofften. Auf der Plattform Reddit prägte sodann ein inzwischen gelöschter Benutzer am 27. November die eingängige Formulierung »cope cages« zur Beschreibung dieser käfigartigen Schutzvorrichtungen. »Cope«, oft auch als fiktive drogenähnliche Substanz »Copium« bezeichnet, ist ein memetisch stark besetzter Begriff: Jemand betreibt ›Cope‹ oder ›inhaliert Copium‹, wenn er*sie unangenehme Tatsachen verleugnet und argumentativ hilflos um sich schlägt, statt der Wahrheit tapfer ins Gesicht zu blicken. So verhielten sich in den Augen vieler Nutzer*innen nun eben auch die russischen Soldaten mit ihren »cope cages« – nur wurde die sich in diesen Aufbauten ausdrückende reale Angst der überforderten Panzertruppen in einem wiederum auffälligen »Filter Clash« mit unsouveränem kommunikativem Handeln in Online-Disputen analogisiert.
Die »cope cages« gingen jedenfalls sofort nach Kriegsausbruch viral, tauchten in unzähligen memes auf – oft hämisch in Kombination mit Bildern zerstörter russischer Panzer – und wurden auch in seriösen Tageszeitung wie dem Schweizer Tagesanzeiger thematisiert: Ein Beispiel dafür, dass die memetische Aufbereitung auch komplexer und belastender Realitäten enorm wirksame humoristische Pointierungen ermöglicht und problemlos in den ›Mainstream‹ eingehen kann. Allerdings ist auch hier, wie schon beim Selenskyj-Ohrfeigen-meme, die ›comic relief‹ um den Preis einer entdifferenzierenden Schnoddrigkeit erkauft.

Memes – Formen und Folgen eines Internetphänomens ↗
»Memes sind die wohl wichtigste Kommunikationsform in einer digitalen Kultur – unser Buch analysiert ihre Entstehung und Wirkung auf für alle verständliche Weise.«
Joanna Nowotny & Julian Reidy
Doch memes sind nicht nur einfach schnoddrig und insofern vielleicht etwas geschmack-, jedenfalls aber harmlos: Als Ausdrucksformen der digitalen Kultur sind sie immer schon eng verwandt mit der Praktik des sogenannten ›trolling‹, also vereinfacht gesagt mit lustvoll verübter Diskursstörung. Derart provokative bis hetzerische, im weitesten Sinne agonale Kommunikationsakte sind selten einfach Abweichungen von einer pazifizierten, toleranten ›Normalität‹, sondern in der Regel Spiegelungen der in dieser Normalität mehr oder weniger untergründig gepflegten Ressentiments: In vielen memes und so gut wie allen troll-Kommentaren treten gesellschaftliche Bruchlinien zutage, in die sich zusätzliche Keile treiben lassen. In diesem Sinne ist es kaum überraschend, dass memetische und ›trollende‹ Kommunikationsformen nicht nur, wie man auf den ersten Blick denken könnte, von einzelnen nerdigen User*innen gepflegt werden, sondern auch von staatlichen Akteuren als strategisch relevant begriffen werden, etwa von Putins Russland (Stichwort Trollfabriken), aber auch vom NATO-Bündnis. Im Journal of the NATO Strategic Communications Centre of Excellence erschien denn sogar ein Aufsatz mit dem Titel »It’s Time to Embrace Memetic Warfare«.
Wie man es dreht und wendet: memes sind komplexe kulturelle Gebilde. Es handelt sich meistens um spannungsgeladene, bewusst ambivalent gestaltete multimediale Konfigurationen. Auch wenn es natürlich jede Menge plakative, vulgäre oder sonstwie simple memes gibt, lassen sich diese Texte – und als solche verstehen wir sie in unserem Buch – genauso wenig auf eine wirkungsästhetische Funktion (wie eben etwa ›comic relief‹) reduzieren wie alle anderen Textformen auch. Insofern verdichten sich auch in auf den ersten Blick grotesk anmutenden Beiträgen wie den erwähnten Selenskyj-memes viele unterschiedliche und einigermaßen komplexe Wissensbestände, Wirkungsabsichten und Ideologeme. Wenn etwa die Widerständigkeit des ukrainischen Präsidenten bildsprachlich an hegemoniale Vorstellungen heldenhafter, kämpferischer Männlichkeit geknüpft wird, werden so traditionelle Rollenmuster, toxische Verhaltensweisen und problematische Zuschreibungen reproduziert.