Ende 2019 lebten 9,5 % Prozent der Menschen in Deutschland mit einer Behinderung, weltweit sind es mit einer Milliarde Menschen rund 15 % der Bevölkerung. Auch wenn statistisch gesehen die meisten Behinderungen körperlicher Natur sind, ist nicht jede objektiv wahrnehm- und sichtbar.
Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen definiert Behinderung als Wechselwirkung von körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen und gesellschaftlichen bzw. infrastrukturellen Hürden. Gesetze zu gesellschaftlicher Teilhabe sowie inklusiven Angeboten im Bildungssektor oder auf dem Arbeitsmarkt, die in den letzten Jahren verabschiedet wurden, sollen die Selbstbestimmung Behinderter stärken und so deren gesellschaftliche Benachteiligung reduzieren. Doch Begleiterscheinungen wie strukturelle Diskriminierungen, mangelnde Barrierefreiheit und ein erhöhtes Armutsrisiko halten sich hartnäckig und erschweren den Alltag und das soziale Standing zahlreicher mit Behinderung Lebender immens.
Seit 2015 wird in New York City regelmäßig der Juli als Disability Pride Month gefeiert. Sein Ziel ist es, Betroffene zu ermächtigen, sich ihren Platz in der Gesellschaft zu behaupten – im Kollektiv behinderter Menschen sowie als Individuum. Um das Gefühl einer Intaktheit (wieder)zuerlangen, bedarf es eines Zusammenschlusses behinderter Menschen als Community – eine konfliktfreie, selbstbewusste Identifikation als behindert kann eine politische Identität und somit einen Protest ausdrücken.
Zum Ausklang des Disability Pride Month Juli stellen wir Bände vor, die das Thema Behinderung und den gesellschaftlichen Umgang damit, Erfahrungen mit Ableismus sowie das Feld der Disability Studies aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten und so einer breiten, interessierten Öffentlichkeit – und somit auch und vor allem Nichtbehinderten – zugänglich machen.
Unser Titelbild

Ausgewählte Titel zum Thema:
Gehörlose und Hörende ↗
Raummodellierung im Kontext von Behinderung und Interkulturalität
Neue Perspektiven auf das Zusammenspiel von Behinderung und Interkulturalität im Kontext von Gehörlosigkeit.
»Behindert ist nicht der Mensch, sondern die Interaktion – sie ist blockiert. Normalität ist eine Vereinbarung.«
Caroline-Sophie Pilling
Was ist Behinderung? ↗
Abwertung und Ausgrenzung von Menschen mit Funktionseinschränkungen vom Mittelalter bis zur Postmoderne
Der Behinderungsbegriff spiegelt die menschliche Vielfalt nicht adäquat wider, sondern transportiert das Bild einer scheinbar homogenen Menschengruppe. Eine Studie über Abwertungs- und Ausgrenzungsprozesse von Menschen mit Funktionseinschränkungen im geschichtlichen Verlauf.
»Mit seinem ebenso historisch informierten wie theoretisch ambitionierten Blick leistet Egen im deutschsprachigen Raum Pionierarbeit. Egens Buch ist ein wertvoller und elegant verfasster Beitrag zur Theoretisierung der historischen Regelhaftigkeiten von Behinderungsprozessen.«
Raphael Rössel, Soziopolis, 17.12.2020
Arbeit und Behinderung ↗
Praktiken der Subjektivierung in Werkstätten und Inklusionsberichten
Im Anschluss an die soziologischen Disability Studies werden kreative Praktiken von Menschen mit Lernschwierigkeiten vorgestellt, mit denen sie den Herausforderungen von Verbesonderung und Inklusion am Arbeitsplatz begegnen.
»Das Buch zeigt den alltäglichen Umgang behinderter Menschen mit den zahlreichen, sich teils widersprechenden Imperativen im modernen Arbeitsleben.«
Sarah Karim
Ab Oktober 2022 erhältlich:
Nadine Glade / Christiane Schnell (Hg.)
Perfekte Körper, perfektes Leben? ↗
Selbstoptimierung aus der Perspektive von Geschlecht und Behinderung
Selbstoptimierung ist allgegenwärtig: Körper, Gesundheit und Ernährung gelten ebenso wie Beziehungen, Elternschaft und Karriere zunehmend als Bereiche, die von Individuen aktiv verändert werden müssen, um den gesellschaftlichen Erfolgs- und Leistungsnormen zu entsprechen. Die Beiträger*innen des Bandes legen dar, wie die vielfältigen und teils widersprüchlichen Facetten des Phänomens Selbstoptimierung aus einer Perspektive von Geschlecht und Behinderung deutlich werden. An Beispielen wie Körpermodifikationen und Mutterschaft setzen sich die Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen mit der Optimierung des Selbst aus Sicht von Menschen mit und ohne Behinderung auseinander.
Ab Januar 2023 erhältlich:
Körperlicher Umbruch ↗
Über das Erleben chronischer Krankheit und spät erworbener Behinderung
Was bedeutet es in der westlich aufgeklärten Gesellschaften der Jahrtausendwende, chronisch krank zu werden oder dauerhaft mit einer Behinderung zu leben? Ausgehend von subjektiven Erfahrungen Betroffener wirft Bernhard Richarz den Blick auf das somatische Geschehen, dessen prozesshafte individuelle psychische Verarbeitung und die sozialkulturellen Rahmenbedingungen. Er leitet chronische Krankheit und Behinderung aus einer Phänomenologie des Körpers ab und ordnet die subjektive Darstellung des Erlebens in den Prozess der Identitätsarbeit ein. Damit eröffnet er den Blick auf das Zusammenwirken von Körper, Selbst und Alterität im Kontext der Persönlichkeitsentwicklung.
Das Standardwerk aus 2007:
Anne Waldschmidt / Werner Schneider (Hg.)
Disability Studies, Kultursoziologie und Soziologie der Behinderung ↗
Erkundungen in einem neuen Forschungsfeld
Erstmalig für den deutschsprachigen Raum findet in dieser interdisziplinären Anthologie eine Begegnung der Kultursoziologie mit der Soziologie der Behinderung statt. Hierzulande dominiert noch die rehabilitationswissenschaftliche Sichtweise auf ›Behinderung‹. Dagegen ermöglichen es die aus den USA und Großbritannien stammenden Disability Studies, Behinderung als soziale und kulturelle Kategorie zu verstehen und soziologische Schlüsselbegriffe wie Wissen, Körper, Macht, soziale Ungleichheit, Interaktion und Biografie neu zu entdecken.
»Der Band überzeugt in seinem systematischen Aufbau und der Zusammenstellung von grundlagentheoretischen und empirisch bzw. historisch orientierten Beiträgen.
Thomas Lemke, DAS ARGUMENT, 277 (2008)
Insgesamt vermittelt der Sammelband einen guten Einblick in die Vielfalt und die Dynamik der DS [Disability Studies], deren theoretisches und empirisches Potenzial langsam auch in Deutschland wahrgenommen wird.«
