Marie Fröhlich / Ronja Schütz / Katharina Wolf (Hg.)
Politiken der Reproduktion ↗
Umkämpfte Forschungsperspektiven und Praxisfelder
»Das Buch präsentiert aktuelle Fragen, Ideen und Erkenntnisse rund um Reproduktion und macht Zusammenhänge zwischen einzelnen Themenbereichen, wie Schwangerschaft, Geburt oder Elternschaft, deutlich. Damit führt das Buch Diskussionen zusammen, die oft isoliert geführt werden und zeichnet so ein umfassendes Bild davon, wo Politiken rund um Reproduktion in Deutschland stehen und wie sich unterschiedliche Debatten gegenseitig beeinflussen.«
Die Herausgeberinnen
Was bedeutet es für die Demokratie, wenn die älteste Demokratie der Welt, die USA, mit der Abschaffung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch den Weg für große Eingriffe in die reproduktive Selbstbestimmung von Menschen bereitet?
Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch zählt zu den reproduktiven Rechten, die als Menschenrecht wichtiger Bestandteil einer gleichberechtigten demokratischen Gesellschaft sind. Die jüngsten Entwicklungen in den USA sind daher schockierend: Seit vielen Jahrzehnten gibt es hier eine Bewegung gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche, die dieses Jahr mit der Entscheidung des Supreme Court gegen die 1973 erfolgte Grundsatzentscheidung Roe vs. Wade sowie Planned Parenthood v. Casey einen Erfolg feiern konnte. Die von antifeministischer und politisch religiöser Rechten unterstützen Kampagne scheint sogar noch weiter gehen zu wollen: Wie Richter Clarence Thomas in seiner Begründung andeutet, sind auch Rechte wie das auf die gleichgeschlechtliche Ehe in Gefahr.
Gleichzeitig zeigen erste Umfrageergebnisse und die Abstimmungen im Bundesstaat Kansas, wo sich die Wähler*innen dagegen entschieden haben, Schwangerschaftsabbrüche zu verbieten, dass ein Großteil der US-Amerikaner*innen hinter dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch steht. Da nun der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen auf bundesstaatlicher Ebene ausgehandelt wird, bleibt es noch abzuwarten, wie die Entwicklungen in den nächsten Jahren weiter gehen und wie viele Menschen in den USA weiterhin sicheren und erreichbaren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen haben werden.
Über die USA hinausgedacht war die Entscheidung des Supreme Courts auch für viele Menschen in Deutschland ein Schock. Dass am selben Tag nach langem Ringen das »Werbeverbot« für Schwangerschaftsabbrüche nach Paragraph 219a StGB in Deutschland abgeschafft, und in den USA das Recht auf Schwangerschaftsabbruch beschnitten wurde, zeigt, wie stark reproduktive Rechte umstritten sind und wie fragil feministische Errungenschaften sind.
Nicht nur in den USA beeinflussen ultra- bis rechtskonservative Bündnisse mit antifeministischen oder fundamentalistischen Parolen das aktuelle politische Klima. Auch in Deutschland üben Abbruchgegner*innen Druck auf Ärzt*innen und Schwangere aus. Die nächsten Jahre werden zeigen, inwieweit politische Kampagnen auch in Deutschland stärker Fuß fassen. Hoffnung geben die anhaltende und lautstarke Kritik an Paragraph 218 und die Erfolge von Kämpfen gegen die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in anderen Ländern, wie z.B. Kolumbien.
Inwiefern wird die Abschaffung des Werbeverbots nach Paragraph 219a StGB
den deutschen Diskurs rund um Schwangerschaftsabbrüche beeinflussen?
Sind weitergehende Entwicklungen eines progressiven Umgangs mit
geschlechtlicher und körperlicher Selbstbestimmung – auch im Kontext des
vorgeschlagenen Selbstbestimmungsgesetzes – zu erwarten?
Die Abschaffung des Werbeverbots ist ein erster, großer Schritt in die richtige Richtung. Er ermöglicht schwangeren Menschen den Zugang zu Informationen und schafft so Erleichterung in einer schwierigen Situation. Darüber hinaus nimmt die Abschaffung den sogenannten »Abtreibungsgegnern« (oder euphemistisch »Lebensschützern«) ein Werkzeug aus der Hand, mit welchem sie Ärzt*innen in Deutschland in den letzten Jahren das Leben schwer gemacht haben: Immer und immer wieder gab es Anzeigen gegen Ärzt*innen, die auf ihren Internetauftritten erste Informationen zu Ablauf oder Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs geben. Die Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel ging hier mit positivem Beispiel voran, indem sie mit ihrem Kampf vor den Gerichten politische Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt hat.
Darüber hinaus ist die Aufhebung des Werbeverbots auch ein Gegensteuern gegen Vorurteile gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen und stärkt die Selbstbestimmtheit schwangerer Menschen: Die Hoffnung vieler Menschen, die sich für reproduktive Rechte einsetzen, ist, dass diese Entwicklung weitergeht. Erste Anzeichen finden sich im Koalitionsvertrag, welcher verspricht, sogenannte Gehsteigbelästigungen einzudämmen und die Beratungskapazitäten zu erhöhen.
Die grundsätzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs im Strafgesetzbuch inklusive der Beratungsregel mit dreitägiger Wartezeit zeigt, wie wenig schwangeren Menschen zugetraut wird, selbstständig verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Dass noch immer manchen Menschengruppen in Deutschland keine umfassende Selbstbestimmung zugestanden wird bzw. deren Kapazitäten dazu hinterfragt werden, ist ein Skandal und macht betroffen. Auch die vielen Bedenken und Vorurteile, die in der Diskussion um das sexuelle Selbstbestimmungsgesetz auftauchen, welches Menschen ermöglichen soll, unkomplizierter, würdevoller und weniger kostenintensiv ihren Geschlechtseintrag zu ändern, zeigen, wie stark heute trans und inter Personen mit Diskriminierung kämpfen und in ihrem Recht auf ein selbstbestimmtes Leben behindert werden.
Die Abschaffung von Paragraph 219a StGB sowie das vorgeschlagene Selbstbestimmungsgesetz sind erste Schritte in die richtige Richtung, von welchen die Ampelkoalition im Koalitionsvertrag einige weitere angesprochen hat. Während die Koalition keinen weiteren Handlungsbedarf bzgl. der strafrechtlichen Verfasstheit des Schwangerschaftsabbruchs zu sehen scheint (etwa die vollständige Abschaffung des Paragraph 218, wie sie seit Jahrzehnten von Feminist*innen gefordert wird), ist mit Blick auf das Selbstbestimmungsgesetz mehr Optimismus erlaubt. Trotz medienwirksamer Einwände transfeindlicher Stimmen, die auch unter Rückgriff auf Fehlinformationen Stimmung gegen das Selbstbestimmungsgesetz machen, scheinen sich Akteure aus Wissenschaft und Praxis im politischen Prozess durchsetzen zu können und Gehör zu finden, die seit Jahren auf die dringende Notwendigkeit der Gesetzesänderung und deren Effekte für die Betroffenen hinweisen und dafür kämpfen.
Sind aktuelle Forderungen nach Abtreibungsverboten und Werbeverboten für Schwangerschaftsabbrüche Ausdruck eines antifeministischen Impulses und wenn ja, wie erklären Sie sich diesen Backlash?
Die Forderung nach dem Recht auf straffreien Schwangerschaftsabbruch ist seit Jahrzehnten Teil feministischer Bewegungen. Verbunden werden damit Debatten um Rechte am eigenen Körper, Lebenschancen und Selbstbestimmung. Der gleichberechtigte Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch (und das implizit auch den niedrigschwelligen Zugang zu medizinischen Informationen) kann – wie reproduktive Rechte im Allgemeinen – als Teil einer adäquaten reproduktiven Gesundheitsversorgung gesehen werden. Dennoch ist er in Deutschland immer noch stark reguliert und kriminalisiert und gestaltet sich nicht für alle Menschen gleich. Zum einen führen immer weniger Ärzt*innen und Kliniken Abbrüche durch. Auf diejenigen Ärzt*innen, die sie (noch) durchführen, und auf die Personen und Stellen, die dazu beraten, wird Druck ausgeübt, was gerade Paragraph 219a bisher ermöglichte. Zum anderen werden die Kosten für einen Abbruch in der Regel nicht von den Krankenkassen übernommen. Das heißt im Umkehrschluss, dass der Wohnort, die finanziellen Mittel oder die Sprachkompetenz einer schwangeren Person darüber entscheiden, ob sie Zugang zu einem Abbruch hat. Diese Problematiken sind nun seit einigen Jahren Teil der öffentlichen Debatte.
Die zunehmende Popularität von feministischen Themen in den letzten Jahren geht einher mit einer wachsenden und transnational vernetzten Gegenbewegung am rechten Rand, die sich u.a. dem vermeintlichen »Schutz von Familien« verschrieben hat. Damit sind jedoch bestimmte Familien gemeint: jene, die eine idealisierte heteronormative Kleinfamilie repräsentieren und damit vermeintlich traditionelle Geschlechterverhältnisse abbilden. Diese Bewegung lehnt z.B. queere Familienformen ab und knüpft explizit an ein bestimmtes Frauenbild an, nach dem als Frauen definierte Menschen in erster Linie Mütter zu sein haben. Sie drückt Ablehnung bezüglich der Liberalisierung und Pluralisierung von Lebens- und Familienformen und dem Wandel von sozialer Ordnung aus.
Konservative bis rechtspopulistische Gruppen, teilweise auch mit religiösen Argumenten und durch die katholische Kirche unterstützt, die unter dem Deckmantel des »Schutzes für das ungeborene Leben« den freien Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in Zweifel stellen und Schwangeren absprechen, diese Entscheidung eigenverantwortlich abwägen zu können, agieren letztlich ebenso mit antifeministischen Agenden: Mit diesen Forderungen gehen faktisch die Einschränkung und Kontrolle der Gesundheit und körperliche Integrität sowie Entscheidungsfreiheit gebärfähiger Menschen einher.