Zwischen Engagement und Desengagement

Die Praxis rettender Umweltphilosophie geht über die genannten Engagementpraktiken engagierter Wissenschaften hinaus. Darin unterscheidet sie sich auch von der Fachphilosophie. Philosophieren wird in der Fachphilosophie gemeinhin als Tätigkeit eines desengagierten Selbst verstanden. Auch die Umweltethik schließt die Rolle des »engagierten Intellektuellen« und der Aktivist*in aus – so sehen es jedenfalls Konrad Ott, Jan Dirks und Lieske Voget-Kleschin. Dabei ist das Desengagement ein Abstandhalten, welches keineswegs Indiz für Indifferenz ist, sondern Ausdruck von Autonomie und Autarkie. Auch die Kritische Theorie versucht, durch den distanzierten Blick Einsichten bereitzustellen, welche wiederum für eine Praxis unabdingbar sind, die mehr sein will als blinder Aktivismus. Aus diesem Grund ist rettende Umweltphilosophie auch nicht der Gegenentwurf zu solchen Philosophien. Im Gegenteil, sie schätzt nicht nur den Wert akademischer Praktiken, sondern weiß auch um die Selbstgefährdungen, die mit ihren eigenen Unternehmungen einhergehen. Philosophien mit Abstand stellen für sie ein notwendiges kritisches Korrektiv dar. Ihr gesellschaftskritischer Blick bewahrt sie vor der Gefahr der Unterwerfung der Theorie unter eine »praktische Vorzensur«. Rettende Umweltphilosophie ist eine dialektische Philosophie. Als solche lehnt sie es ab, Praxis gegen Theorie auszuspielen, weiß sie doch auch, dass sich in bestimmten Situationen die Theorie als »genuine Gestalt der Praxis« erweisen kann.

Aber auch die desengagierte Philosophie bedarf der rettenden Philosophie als kritisches Korrektiv, will sie der Gefahr einer Sterilität, die in die Bedeutungslosigkeit führt, oder der Gefahr einer Blindheit gegenüber eigenen Abhängigkeiten entgehen, die sie zur Ideologie verkommen lässt. Auch desengagierte Philosophie kann sich als vernünftige nicht vollends von Praxis dispensieren, drängt es doch Vernunft dazu, öffentlich zu werden. Dafür muss sie immer wieder neu aus »selbstverschuldeter Unmündigkeit« (I. Kant) ausziehen. Ohne diesen emanzipatorischen Aspekt wäre Philosophie nicht mehr rational. Überdies kann ihr die engagierte Philosophie Mahnung sein, gibt es doch Zeiten, in denen schon der Versuch, Distanz zu halten, die Gefahr der Komplizenschaft mit Ungerechtigkeiten bedeuten kann. Es sei denn, die Distanz entdeckte sich in solchen Situationen neu als Praxis, als bewusste Weigerung, als Praxis eines entschiedenen Nicht-Mitmachens. Alles andere käme einem Sich-aus-der-Affäre-Ziehen gleich.

Jürgen Manemann

Rettende Umweltphilosophie
Von der Notwendigkeit einer aktivistischen Philosophie

»Angesichts der ökologischen und klimatischen Katastrophe muss Umweltphilosophie sich neu ausrichten. Von Umwelt zu sprechen heißt heute nämlich, von Umwelt als Zerstörtes, Bedrohtes, zu Rettendes zu sprechen. Umweltphilosophie benötigt deshalb ein besonderes Wissen um dieses Gefährdetsein. Aus diesem Grund schlage ich das Projekt einer rettenden Umweltphilosophie vor, die auf ein (Zusammen-)Leben zielt, das alle Menschen, Tiere, Pflanzen, aber ebenso Berge, Flüsse, Ökosysteme und den Planeten Erde als Teil der Moralgemeinschaft umfasst.«

Jürgen Manemann

3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen leben in Kontexten, die durch die Klimakatastrophe »hochgradig gefährdet« sind, so nachzulesen im Bericht des Weltklimarates. Jeden Tag sterben bis zu 150 Tier- und Pflanzenarten aus… Drei Jahre, fünf Jahre, maximal sieben Jahre – genau wissen wir* es nicht, aber wir* wissen, dass uns nicht viel Zeit bleibt. Es gibt Situationen, in denen nicht mehr bloß über das gute Leben nachgedacht werden kann, weil nämlich das Überleben auf dem Spiel steht. In einer solchen Situation reicht die reine Begriffsarbeit nicht mehr aus. In solchen Zeiten tritt das Appellative, das den Begriffen der praktischen Philosophie unausgesprochen inhärent ist, deutlich zutage. Angesichts einer akuten Notsituation reicht es nämlich nicht aus, zu bestimmen, was »Gerechtigkeit«, »Solidarität«, »Freiheit«, »ein gutes Leben« heißen können. In diesen Zeiten verstärkt sich der in den Begriffen liegende Anspruch auf Verwirklichung.

Die grassierenden Tode menschlicher und nichtmenschlicher Lebewesen treiben rettende Umweltphilosophie an, aktivierend und aktivistisch zu sein. Als aktivierende befasst sie sich nicht nur mit Denk- und Handlungsblockaden, die uns hindern zu handeln, mit kognitiver Dissonanz, mit Emotionen, die uns zum Handeln motivieren und solchen, die uns lähmen, mit neurotischen und realistischen Ängsten, Katastrophenblindheit, Hoffnungslosigkeit und Umweltmelancholie. Sie sorgt sich auch darum, wie Menschen in ihrer Handlungsfähigkeit unterstützt werden können. Sie begreift sich als ein Hilfsmittel der Subjektwerdung. Ihre Aufgabe sieht sie nicht zuletzt darin, Handlungsräume des Selbst zu entdecken und zu ermöglichen. Ihr Wissen betrachtet sie als »ein Wissen im Zustand der Wirksamkeit«.

Jürgen Manemann (Prof. Dr.), geb. 1963, ist Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover. Seine Forschungsschwerpunkte sind Umweltphilosophie, neue Demokratietheorien und die Verhältnisbestimmung von Religion und Politik.