Julia Reuter / Markus Gamper / Christina Möller / Frerk Blome (Hg.)
Vom Arbeiterkind zur Professur ↗
Sozialer Aufstieg in der Wissenschaft. Autobiographische Notizen und soziobiographische Analysen
»Was den soziologischen Wälzer […] jenseits der Fachgemeinde interessant macht, ist sein umfangreicher Mittelteil: darin gehen 19 ProfessorInnen in autobiografischen Essays der Frage nach, wie sie – gegen alle Widerstände des Bildungssystems – ihren (im einschlägigen Fachjargon) soziokulturellen Extremaufstieg per sozialer Langstreckenmobilität geschafft haben.«
Uwe Schütte, taz, 14.07.2020
Noch immer gibt es große Hürden für einen Bildungsaufstieg – nach wie vor stammt nur eine Minderheit der Professor*innen aus der Arbeiterklasse. In »Vom Arbeiterkind zur Professur« ↗ wird dieses Thema nicht nur aus der Perspektive der Ungleichheitsforschung betrachtet, sondern auch ein Blick auf die Betroffenen selbst geworfen. Professor*innen, die sich »hochgearbeitet« haben auf der Bildungsleiter, schildern ihre persönlichen Erfahrungen von »Klassenübergang« und Chancengleichheit, der Verknüpfung von sozialer Herkunft und Wissenschaft und der Bedeutung des von ihnen jeweils Erreichten.
Julia Reuter, Mitherausgeberin des Buches, über das ungebrochene Interesse am Thema und den Konsequenzen, die aus den Beobachtungen des Bandes zu ziehen sind:
Warum erfährt das Thema Ihrer Meinung nach so große Resonanz?
Das Buch über Bildungsaufsteiger*innen reiht sich ein in eine ganze Reihe von autobiographisch gefärbten Beststellern zum Thema Herkunft und Klassenscham, zu dessen bekanntesten sicherlich Didier Eribons »Rückkehr nach Reims« zählt. Klassismus war vor allem hierzulande ein lange Zeit ignoriertes und tabuisiertes Phänomen, das zudem durch das bildungspolitische Aufstiegsversprechen verdeckt wurde. Die soziologische Ungleichheitsforschung hat dies schon lange angemahnt und viele der Fachpublikationen haben das Problem in seinem statistischen Ausmaß vermessen, aber die persönlichen Erfahrungen und Empfindungen der Betroffenen ausgespart. Hier ist es wohl auch die Mischung aus autobiographischer Erzählung und soziologischer Reflexion im Buch, die das Thema anders öffentlich sichtbarer macht.
Was müsste sich denn ändern, um die Aufstiegswege durchlässiger zu machen? Was kann die Politik konkret tun?
Viele aktuelle Publikationen zum Thema Bildungsaufstieg setzen sich mit Gelingensbedingungen und Fördermöglichkeiten auseinander. Bildungsaufstiege bleiben aber letztlich wie die Aufsteiger*innen individuell. Aber man erkennt an den Geschichten in unserem Buch, dass Gelegenheitsstrukturen (herkunftssensible Bildungsprogramme, Stiftungen, Sonderregelungen, BAföG) oder Mentor*innen- und Beratungsangebote in und außerhalb von Schule und Hochschule, Arbeiterkinderselbstorganisationen und Vereine wie Arbeiterkind.de schon die Durchlässigkeit wahrscheinlicher machen.
Und was wären Maßnahmen an der jeweiligen Universität?
Eine offene Diskussion darüber, dass echte Diversity-Politik auch die Frage nach der sozialen Herkunft mitzuberücksichtigen hat – und zwar nicht nur der Studierenden, sondern auch der Lehrenden der Universität. Das bedeutet aber im Umkehrschluss auch, die bisherigen Anforderungen an eine wissenschaftliche Laufbahn zu überdenken – denn exzellent bedeutet dann nicht zwangsläufig eine geradlinige Karriere inklusive Auslandsaufenthalten und immer früheren Qualifikationsphasen. Das Buch zeigt ja, dass die Wege zur und in der Wissenschaft von sogenannten »Arbeiterkindern« häufig anders verlaufen, länger sind oder mehr Umwege beinhalten. Dem muss man durch altersunabhängige Besetzungsverfahren, Stipendien- oder Förderprogramme Rechnung tragen.

Julia Reuter
geb. 1975, ist Professorin für Erziehungs- und Kultursoziologie an der Universität zu Köln.
Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Allgemeinen Kultursoziologie, der Migrations- und der Wissenschaftssoziologie. Sie hat u.a. zur wissenschaftlichen Karriere als Hasard publiziert.