Die Situation vieler Argrarbetriebe in Europa ist angespannt. Ob Landwirt*innen in den Niederlanden gegen Umweltauflagen protestieren oder in Frankreich gegen EU-Richtlinien auf die Straße gehen, stets steht die prekäre ökonomische Situation ihrer Betriebe im Mittelpunkt. Neben konventionell wirtschaftenden Betrieben sind von dieser Not auch solche Betriebe betroffen, die ökologische Landwirtschaft betreiben. Auch sie sind zunehmend ökonomischen Zwängen ausgesetzt und übernehmen darum vermehrt die Produktionsmethode der konventionellen, industriellen Massenproduktion, die auf der Ausbeutung von Natur, Tier und Mensch beruht.
Wie Andrea Heistinger, Elisabeth Kosnik und Gabriele Sorgo in ihrer Studie zeigen, ist diese Bewegung jedoch nicht alternativlos. Am Beispiel von vier Landwirt*innen und ihren Betrieben in Österreich zeigen sie, wie eine ökologisch und ökonomisch nachhaltige Alternative zur konventionellen Landwirtschaft aussehen kann. Zentral ist für die Autorinnen dabei eine Wirtschaftsweise, die sie als »Sorgsame Landwirtschaft« bezeichnen und die darauf beruht, dass Landwirt*innen positive Beziehungen zu dem Boden eingehen, den sie bewirtschaften, zu den Tieren, die sie halten und zu den Menschen, die in ihre tägliche Arbeit involviert sind.
Im Gespräch mit den Autorinnen geht es neben der »Sorgsamen Landwirtschaft« auch um die in ihrer Studie untersuchten Betriebe sowie einen Blick in die Zukunft der Landwirtschaft.
Können Sie zu Beginn bitte kurz umreißen, was das Konzept der »Sorgsame Landwirtschaft« meint?
Mit sorgsamer Landwirtschaft bezeichnen wir die Einstellungen und Handlungen der Landwirt*innen in unserer Studie, welche sich stark von denen der industriellen Landwirtschaft unterscheiden. Die interviewten Landwirt*innen lehnen Ausbeutungsverhältnisse ab und setzten stattdessen auf Beziehungen. Mit Ausbeutungsverhältnissen meinen wir die Ausbeutung natürlicher Ressourcen wie z.B. Boden, von Nutztieren und von Arbeitskraft, inklusive Selbstausbeutung. Dagegen betonen die Landwirt*innen in unserer Studie die Bedeutung eines sorgsamen Umgangs mit Anderen und mit sich selbst, aber auch mit ihren Tieren und den Bodenlebewesen. Für diese Landwirt*innen ist das die Grundlage eines wirtschaftlich, ökologisch und sozial guten Lebens.
Im Fokus Ihrer Untersuchung stehen vier österreichische Betriebe, die nach ökologischen Prinzipien arbeiten. Wieso haben Sie diese vier Betriebe ausgewählt?
EU-Bürger*innen sind zu einem großen Teil von Lebensmittel aus Ländern außerhalb der EU abhängig. Die Pandemie und der Krieg machen deutlich, welche schwerwiegenden Konsequenzen damit verbunden sind. Dazu kommen die weiten Transportwege für Grundnahrungsmittel. Unsere Studie legt den Fokus auf ökologisch-zertifizierte Vollerwerbsbetriebe, die Grundnahrungsmittel für Menschen produzieren und diese auch regional vermarkten. Ein weiteres Kriterium für die Auswahl war, dass die Betriebsleiter*innen nach eigenem Ermessen wirtschaftlich gut von ihren Betrieben leben können.
Wie sehen Sie die Zukunft der Landwirtschaft – insbesondere vor der Gefahr, dass sich das Kapital, wie Sie schreiben, zu seiner Verwertung immer wieder neue, alternative Konzepte einverleibt?
Schon jetzt können wir in vielen Regionen einen Gegentrend zur jahrzehntelangen Abwanderung in die Städte sehen: Junge Menschen ziehen wieder aufs Land, um hier neue Höfe zu gründen. Und auch Menschen in anderen Berufen ziehen von der Stadt aufs Land – zum Beispiel weil sie hier ihren Beruf (online) mit Selbstversorgung kombinieren können. Ein Indikator: In vielen sogenannten peripheren Regionen in Österreich steigen seit kurzem wieder die Grundstückspreise. In Zukunft werden junge Menschen sich wieder mehr für Landwirtschaft interessieren, weil das bäuerliche Leben in der Spätmoderne avantgardistisch sein kann. Naturbezogenheit stellt keinen Widerspruch mehr zur Digitalisierung dar, Tierzucht ist wieder mit Tierliebe vereinbar. Viele kleine Betriebe sind innovativ und pflegen Artenvielfalt. Das Klischee vom konservativen Bauerntum trifft jetzt häufig die, die »modernisiert« haben – die agrarindustriell organisierten Betriebe. Die industrielle, kapitalintensive Landwirtschaft kann sorgsame Landwirtschaft zwar simulieren oder vortäuschen – zum Beispiel durch schöne Bilder auf ihren Verpackungen oder durch übermannsgroße Slogans auf den Dächern von Supermarktfilialen. Jedoch: Das Kapital wird sich Betriebe und Menschen, wie wir sie befragt haben, nicht einverleiben können. Denn sie haben die Fähigkeit Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Diese Kompetenz der Netzwerk-Pflege macht sie zwar nicht autark, doch weitaus unabhängiger vom Druck von zum Beispiel Banken oder Förderinstitutionen oder von den Vermarktungslogiken der industriellen Landwirtschaft.
Andrea Heistinger / Elisabeth Kosnik / Gabriele Sorgo
Sorgsame Landwirtschaft ↗
Resiliente Praktiken im Ökologischen Landbau
»Das Buch soll über die Wissenschaft hinausgehend auch Praktiker*innen ansprechen, die selbst in kleinstrukturierten Öko-Landwirtschaften tätig sind, oder es werden wollen, und ihnen Mut machen, dass trotz schwieriger Voraussetzungen Alternativen möglich sind. Den Konsumentinnen wiederum eröffnet das Buch neue Perspektiven auf Wandlungsprozesse in der ökologischen Landwirtschaft und die Bedingungen, unter denen ihre Lebensmittel hergestellt werden.«
Die Autorinnen

Andrea Heistinger (Dipl.-Ing.), geb. 1974, hat Landwirtschaft mit den Schwerpunkten Ökolandbau und Agrarsoziologie studiert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Innovationen im Ökologischen Landbau und Familiensoziologie, Systemische Beratung für Familienbetriebe und Organisationen.
Elisabeth Kosnik (Mag. Dr. phil.), geb. 1983, Kulturanthropologin, war als Postdoc am Forschungsprojekt Bio Hoch Drei beteiligt. Die Schwerpunkte ihrer Forschung und Lehre an der Universität Graz sind ökonomische Anthropologie, Umweltanthropologie und Food Studies.


Gabriele Sorgo (PD Dr. phil.), geb. 1961, Kulturhistorikerin, lehrt Pädagogische und Historische Anthropologie an der Universität Innsbruck. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Konsumtheorie, Gabenökonomien und Geschlechterforschung.