Sarah Speck

ist Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Frauen- und Geschlechterforschung an der Goethe-Universität in Frankfurt.

Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der Geschlechter-, Paar- und Familiensoziologie, im Wandel der Erwerbswelt und in der feministischen Gesellschaftstheorie.

Cover Die Corona-Gesellschaft

Dieser Text ist die Kurzfassung eines Beitrags aus der Buchpublikation »Die Corona-Gesellschaft. Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft«, herausgegeben von Michael Volkmer und Karin Werner, die im Juli 2020 erschienen ist.

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Der verordnete Rückzug ins Private im Zuge der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie war zugleich mit der Aufforderung verbunden, all jene Erwerbstätigkeiten ins Home Office zu verlegen, die von zuhause ausgeübt werden können. Das, was viele Gleichstellungsbeauftragte über viele Jahre vergeblich forderten, weil es angeblich mit zu viel Komplikationen in den Abläufen verbunden sei, war nun auf einen Schlag und binnen weniger Tage möglich: Ein großer Teil der Bevölkerung arbeitete in den letzten Wochen je nach räumlichen Möglichkeiten am Schreib-, Wohnzimmer- oder Küchentisch, am PC, in Online- oder Telefonkonferenzen. Allerdings ist aus Perspektive der Geschlechterforschung zur plötzlich allerorts stattfindenden Ausweitung der Telearbeit noch wesentlich mehr zu sagen. Zweifelsohne ermöglichen diese Arbeitsformen durch örtliche und zeitliche Flexibilität, Sorge- und berufliche Verpflichtungen zu »vereinbaren«. Doch ist das Home Office mit einigen Tücken belegt, die sich in Zeiten von Corona verschärfen.

Zuhause arbeiten bedeutet die Freiheit, Tages- und Arbeitsabläufe stärker selbst strukturieren zu können. Doch in dieser Freiheit ist im Kontext der Strukturen unserer gegenwärtigen Erwerbswelt, in der prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder up-or-out-Logiken ubiquitär sind, bekanntlich das permanente Risiko der Entgrenzung eingelagert. Die in den letzten Jahren grassierenden Angebote von Ratgebern, Coachings, ganzheitlichen Kalendern etc. geben zwar das Versprechen, diese Probleme durch Selbstmanagement und Achtsamkeitsübungen lösen zu können. Ideologisch sind solche Techniken, insofern sie die Suche nach Lösungen dem Einzelnen überlassen und die strukturelle und kollektive Dimension der aus den neuen Arbeitsformen entstehenden Problemlagen verschleiern. Damit wird eine Tendenz der Vereinzelung fortgeführt, die in Tele-Arbeit und Home Office ohnehin angelegt ist.

Allerdings ist es freilich nicht so, dass Home Office tatsächlich »alleine arbeiten« und weniger Kommunikation bedeuten würde. Im Gegenteil: Viele können das sprichwörtliche Liedchen über stundenlange Telefon- oder Videokonferenzen singen und auch darüber, wie ermüdend diese Kommunikationsformen sind. Oftmals sind sie weniger effektiv, da mit technischen Hürden gekämpft werden muss, Teilnehmende nebenher E-Mails checken oder sich Gedanken über ihre Frisur machen. Sie sind jedoch auch deshalb anstrengender, da Teile unserer Interaktion beschnitten sind, nonverbale Kommunikationsweisen wie auch ein Teil dessen, was aus geschlechtertheoretischer Perspektive unter Care-Arbeit am Arbeitsplatz gefasst werden könnte: versichernde oder klärende Kommunikation »um das Meeting herum« oder die kurze Frage, wie es den Anderen gerade geht. Im Home Office entstehen neue Unsicherheiten.

Die genannten Tücken des Home Office kamen auch in Interviews zur Sprache, die wir im Rahmen einer qualitativen Studie mit Menschen in ganz unterschiedlichen sozialen Lagen zu ihrer Bewältigung des Alltags im Kontext der Corona-Krise geführt haben. Der Fokus der Untersuchung liegt insbesondere auf Familien und mehrköpfigen Haushalten und deren »Neuordnung des Privaten«. Unter den Befragten waren auch viele, die derzeit im Home Office arbeiten, was – auch dies ist nochmals zu betonen – insbesondere Menschen aus den mittleren sozialen Lagen sind. Sichtbar wurden dabei vor allem aber auch Muster, die aus geschlechtersoziologischer Perspektive erwartbar waren, deren Ausmaß jedoch überraschte.

Tückisch ist das Home Office nämlich vor allem auch deshalb, weil das Zuhause der Ort der anderen Arbeit ist, die tagtäglich geleistet werden muss. Jene, die dem alltäglichen Lebenserhalt dient, der Wiederherstellung der Arbeitskraft, der Versorgung, der Erziehung der Kinder und der Pflege kranker, eingeschränkter und alter Menschen. Das »Büro zuhause« bedeutet eben ein hohes Maß an Koordination ganz unterschiedlicher Tätigkeiten an einem Ort und der Befriedigung von vielfach auseinanderlaufenden Bedürfnissen. Wer ein oder mehrere Kleinkinder zuhause betreuen muss, erlebt, dass die Erwartung, den regulären Job einfach im Home Office weiter zu erledigen, grotesk ist. Doch nicht nur die Betreuung von Kindern und die vollkommen neue Situation der häuslichen Beschulung beinhaltete gänzlich neue Herausforderungen. Die täglich anfallende Hausarbeit wuchs immens: Wenn alle immer zuhause sind, muss viel mehr eingekauft, Essen zubereitet werden, die vielfach zu kleine Wohnung wird stärker genutzt, ständig muss aufgeräumt und sauber gemacht werden.

Dass dieser Berg zu ungleichen Teilen abgetragen wird, war zu vermuten und wird nun durch erste Studien belegt. Der Großteil der anfallenden Arbeit, darunter auch das Homeschooling, wird von Frauen bewältigt. Das hat selbstverständlich auch langfristige Auswirkungen. Vielfach zitiert wurde das Beispiel der Verlautbarung von Herausgeber*innen internationaler Fachzeitschriften, der zufolge seit Ausbruch der Pandemie mehr Einreichungen von Männern und signifikant weniger Einreichungen von Frauen vermerkt wurden. Die ungleichen Belastungen haben Auswirkungen auf Berufsverläufe und Erwerbslaufbahnen und damit auf Ressourcen, Einkommensstrukturen – Stichwort Gender Pay Gap und Gender Pension Gap – und auch auf Handlungsmöglichkeiten und Machtbalancen in partnerschaftlichen Aushandlungen.

Während in den ersten drei Wochen des »Lockdown« für viele das Home Office auch Erholung vom neoliberalen Ausnahmezustand und durchgetakteten Alltag bedeutete, verstärkten sich die Ambivalenzen des Home Office in den Erfahrungen zunehmend. Dennoch: Einen Weg zurück wird es nicht geben. Denn viele Unternehmen und Organisationen werden bereits jetzt die immensen Vorteile der Verlagerung von Arbeitsplätzen nach zuhause erkennen. Es können Ressourcen eingespart werden: Das Lieferdienst- und Uber-Modell, das abhängig Beschäftigte dazu nötigt, ihr privat erworbenes Eigentum oder ihre Räume als Produktionsmittel für ihre Arbeit zu nutzen, wird sich weiter verbreiten. Es wird damit verbunden zu einer Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse kommen – die im Kontext der Corona-Krise vorangetriebenen Ideen einiger Universitäten zur vollständigen Digitalisierung von Studiengängen, die aller Wahrscheinlichkeit nach zu großen Teilen von Zuhause-Lehrenden gestemmt werden, lassen entsprechende Szenarien für die universitäre Welt bereits aufscheinen. Aus marxistisch-feministischer Perspektive war das Zuhause immer ein Ort, um neue Formen der Ausbeutung zu erproben und zu erfinden. Die Corona-Krise wird, so ist zu vermuten, die Formen der Arbeitskraftnutzung dauerhaft verändern. Die in vielen Hinsichten hoch problematischen Effekte davon gilt es aus geschlechtertheoretischer und intersektionaler Perspektive, also entlang von Klasse, Strukturen rassistischer Segregation und Diskriminierung und weiteren Linien sozialer Ungleichheit, im Blick zu behalten.